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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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»Kraft durch Freude«. Es war so schön, die Welt zu sehen, mit großen Augen aus dem Coupéfenster zu plieren, als ob die Kühe und die Bahnhöfe, die Sonnenblumen und die Stadtdächer ganz anders beschaffen wären als zwischen Altona und Berlin. »Kraft durch Freude« war eine große Sache. Damit war dem Führer wieder mal ein Treffer gelungen. Zwar behaupteten neidische SPD.-Leute, die sich zum Nationalsozialismus bekehrt hatten, solche Ferienfahrten hätte die alte Partei auch schon veranstaltet. Wenn ja, dann hatte eben niemand davon gewußt und gesprochen, und da war es eben so gut wie nicht vorhanden.
    Daheim spürte Albert einen schönen Appetit auf eine Flasche kalten Lagerbiers. »Wer lang hat, läßt lang hängen«, sagte er zu Stine, die sich den Hut aus den Haaren nestelte und dabei ihren Knoten zu einem herrlichen Pferdeschwanz auflöste. »Die Wiener hier müssen ohnehin weg. Bring mir den Knust vom Abendbrot mit herein und den Senf.« – Stine hatte das Küchenfenster geöffnet und zum Himmel emporgelauscht. Aus der Gegend des Daches her schallten leise Klänge. Das Vorderhaus nach der Straße war schräg gedeckt, mit steilem First und Ziegeln wie die ganze Straße. Die Seitenflügel aber nach den Höfen, verschieden hoch, besaßen Flachdächer aus Zinkblech und Dachpappe. Dort oben, der Teetjenschen Wohnung gerade gegenüber, aber hoch über ihr, glitt eine niedrige Gestalt umher, im allgemeinen Dunkelgrau kaum zu unterscheiden, und spielte Harmonika. Nur ihr Kopf bewegte sich vor den Sternen.
    Stine tippte sich vor die Stirn. »Daß ich mich doch noch erinnere! Drei Paar muß ich noch zur Geesche hinaufbringen. Zu Freitag hab ich die Waschküche bestellt, und ich bin ihr noch vom letzten Mal schuldig.« Damit raffte sie drei von den fünf Paar Würstchen auf und wollte davonlaufen. Aber Albert hielt sie fest an ihrem rötlichen Pferdeschweif und trat kauend mit ihr ans Fenster.»Mein Quetschpiano«, äußerte er, lauschte empor und nickte beifällig. »Der Tom kann’s. Meinte schon, ich würd’s ihm wegnehmen müssen und verhökern. Besser so. Siehst du, wenn der den Bauch voll Zorn auf unsern Umsturz und das Neue Reich hätte, das könnt ihm keiner verübeln. Ist ja wie zu Gefängnis verurteilt seither, der arme Hund.« Stine seufzte. »Meinst du, ich kann so hinauflaufen, unaufgesteckt?« – »Wird sich keiner in dich verlieben, auf der Stiege.« – »Nehm doch ein Kopftuch über«, entschied sie sich, tat die drei Paar Würstchen in ein blaues Emailletöpfchen und wollte durch die Küchentür auf den gegenüberliegenden Hintereingang zu. Aber Albert hielt sie noch immer fest. »Zwei Paar tuns auch, das dritte für dich.« – Stine, sich lösend, behauptete, keinen Appetit zu verspüren – sie wollte schlank bleiben. »Nachher«, meinte Albert und strich über ihren Leib, »nachher hast du welchen. Spute dich, altes Reff!«
IV
    Die Waschfrau Geesche Barfey bewohnte mit ihrem Sohne Tom einen Raum im Giebel des Vorderhauses, der eigentlich nicht mehr hätte vermietet werden dürfen. Er war nur über das Dach des Seitenflügels zugänglich, seit der Entrümpelung, die den Obergeschossen der Häuser größere Sicherung gegen Brandgefahr bei Luftangriffen verleihen sollte. Obwohl man den tiefsten Frieden genoß – Kriege spielten sich nur in Ostasien und Spanien ab – und Adolf Hitler immer wieder beteuerte, wie sehr er als Frontsoldat den Krieg verabscheue, hatte die Reichsregierung doch als guter Vater Vorsorge getroffen und die Böden von altem Plunder räumen lassen. Daß da oben noch jemand wohnte, wurde geduldet. Die Witwe des Unteroffiziers Barfey vom 76. Infanterieregiment, jetzt Waschfrau, und ihr im Frühling 1919 geborener Sohn Tom hausten eben von jeher »da oben«. Sie gehörten dazu. Daß der Knabe Tom verkrüppelt zur Welt gekommen war, mit viel zu kleinen, viel zu schwachen Beinchen, hatten die einen dem Kummer der jungen Kriegerwitwe zugeschrieben, die anderen der Tatsache, daß sie sich bis in die letzten Tage ihrer Schwangerschaftden Leib am Waschfaß des ganzen Viertels wund gedrückt hatte. Es galt als Wunder, daß der Kleine das gefährliche erste Lebensjahr überstand, besonders als die Inflation Milch, Gemüse, Obst in unwahrscheinliche Höhen entrückte. Aber Geesche focht für ihren Tom mit allen Mitteln einer kräftigen jungen Frau, und das Kind in seinem Körbchen dankte es ihr. Seine braunen Augen blickten hell und gesammelt, folgten jeder Bewegung, jeder Fliege

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