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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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gütigen, weisen und gerechten Gott, der von oberen Etagen her den Betrieb in Ordnung hielt. Er hatte mit Gier und Wachheit Dutzende von Kosmosbändchen aus der Schulbibliothek verschlungen, die ihm die Entstehung der Welt, der Erde, des Lebens und des Menschen auf einem Wege darlegten, der ihm natürlicher und genehmer schien als die krause und düstere Märchenwelt der biblischen Geschichten. Aber daß Leute sich dafür in Stücke hauen ließen, wie für Karl Marxens »Kommunistisches Manifest«, machte auf sein junges Herz doch Eindruck. Was einem passierte, wenn man nichts zu verkaufen hat als seine Arbeitskraft, das sah er an seiner Mutter jeden Tag; auch was die Versprechungen einer herrschenden Klasse wert waren, für die sein Vater sich hatte erst krumm- und dann totschießen lassen. Aber es konnte noch besser kommen. Er feuchtete, gerade an seinem Fußboden-Sitzpult hockend, Adressen an, als Frau Dr. Neumeier seiner Mutter erklärte, was für Schritte zu tun seien, falls man sich ihr mit der Absicht nähere, den Tom zu kastrieren, damit sich das verkrüppelte Leben nicht fortsetze. Man müsse dann in einer Eingabe an bestimmte Staatsstellen auseinandersetzen, daß seine Verkrüppelung ihrer Überarbeitung und nicht irgendwelcher Entartung zur Last zu legen sei, und daß, wenn man ihn entmanne, die Erbsubstanz eines tapferen Weltkriegssoldaten und an sich gesunden, kriegsgefallenen Frontkämpfers ausgerottet werde. Das werde ziehen, hatte sie versichert, zur Not aber sei sie bereit, den Tom einigen hamburgischen Autoritäten vorzuführen. Nur die verrückten Preußen und Bayern müsse man verhindern, sich in diese Sache einzumengen.
    Käte Neumeier war aufrichtigen Gemütes von den Sozialdemokraten, die ihr Programm Programm sein ließen, zu den Nationalsozialisten übergegangen schon im Jahre 1931, als kein Zweifelmehr darüber blieb, daß die Hindenburg-Republik auf alle Fälle ihren reaktionären Kurs weitersteuerte. Hinter den sogenannten Nazis standen, so schien ihr, revolutionierte und jugendliche Massen deutschen Volks, die den Fehler von 1918 ausgleichen, nämlich den Großgrundbesitz in staatliches Siedlungsland verwandeln würden, kaum daß sie in der Macht säßen. Jetzt glaubte sie all das nicht mehr ... In ihrem Umkreis die Folgen des Unheils zu heilen oder wenigstens zu lindern, das über Deutschland zu bringen sie mitgeholfen hatte, war alles, was sie tun konnte. Sie ahnte kaum, wie aufgewühlt sie selbst an jenem Nachmittag war, jenem Frühlingssonntag, an welchem sie Geesche Barfey derart warnte. Und sie erschrak deutlich, als sie vom Fußboden her ein Knirschen hörte, das Knirschen aufeinandergebissener Zähne. »Mich kastrieren!« sagte der Krüppel mit unnatürlich sanfter Stimme. »Ich kenne eine Dachluke hier irgendwo, in der aus der Spartakuszeit noch ein paar Handgranaten liegen. Mag sein, daß sie noch in Ordnung sind, wenn der Herr Reichsstatthalter mal zufällig durch die Wagnerstraße fährt oder durch die Wandsbeker Chaussee. Oder wenn eine Kommission es unternähme, mich abzuholen.« – Frau Dr. Neumeier, viel zu früh ergraut und eine energische Falte zwischen den Brauen, fuhr ihm damals ins Haar, zauste ihn und fragte ärgerlich: »Willst du deine Mutter gefährden, he? Dich wie ein Narr benehmen, he? Natürlich müssen Handgranaten herbei, wenn einer das Blümchen Frauentrost von Wagnerstraße siebzehn anzutasten wagt. Verstand ist ja zu mühselig, die Wirkung eines Schriftsatzes zu lautlos für unseren Gewaltigen. Was bist du doch für ein Kindskopf, Tom.« – In der Tat war bisher nichts dieser Art erfolgt. Aber der tödliche Haß erklärte sich nun wohl, mit welchem Tom jede Bewegung des neuen Staates verfolgte, jeden seiner Machthaber im Reich, in Preußen, in Hamburg, überall. Wer immer sich diesem Staat gesellte oder tatendurstig zur Verfügung hielt, der war gerichtet. Am Tage der Abrechnung mußte er weg. Daß Hitlers Paradies kein gutes Gewissen hatte, sich auf alle Fälle schwach fühlte, erkannte man aus hundert Kleinigkeiten. Warum zum Beispiel saßen die vier zum Tode Verurteilten noch immer in Fuhlsbüttel, he? Hatte ihr Prozeß sich nicht lange genug hingeschleppt, und war ihnen nichtallen vieren, zumindest aber dreien, die Zugehörigkeit zu den verfemten Roten nachgewiesen, zur KPD.? Und doch geschah ihnen nichts. Wird auch nicht. Zum Tode verurteilen, ja. Hinrichten? Da kannst du in Hamburg lange warten.
V
    Bevor Stine sich anschickte, die eiserne Leiter

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