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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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emporzusteigen, die vom letzten Flur des Seitengebäudes aufs Dach führte, klopfte sie dreimal mit ihrem Töpfchen auf eine der Sprossen. Es schallte metallisch. Sogleich schwieg oben die volkstümliche Musik, das Geräusch kleiner Räder rollte oder ruderte heran. Die Dachluke öffnete sich über ihrem Kopfe, sie brauchte sie nicht mit dem Scheitel hochzuheben. Dafür wurde sie mit einem Kusse empfangen, gegen den sie sich nicht wehren konnte, da sie erst halben Leibes aus der Luke ragte, überdies aber in ihrer Rechten das Töpfchen emporhielt. »Wer hier klein ist, hat die Übermacht«, lachte Tom. »Gott, was für ein herrlicher Pferdeschwanz!« Und er drückte sein Gesicht in ihr Haar; das Tuch war ihr längst vom Scheitel geglitten. Sie entzog sich ihm mit geschickter Bewegung, setzte sich auf die Dachplatten, ließ die Beine auf der Leiter stehen und schob ihn an den Schultern zurück. »Jung«, sagte sie halblaut, »was bist du frech! Bin ich die kleine Lawerenz oder die Olga von Petersens? Ich will mich meiner Haut schon wehren.« – »Frauchen«, bat er dringlich, »komm herauf, zu mir hinein, daß ich dich anschauen kann, deine Augen, deine Brauen.« – »Könnte mir passen!« lachte sie, »das will ich gar nicht. Ich will schlafen gehen, aber nicht mit dir.« – »Stine«, stöhnte er, »du bist so gemein zu mir! Und doch gibt’s nichts, was ich nicht für dich täte. Wie ich noch gerade deine Knie umfassen konnte, hab ich dich schon geliebt, und so ist’s geblieben und wächst beständig.« – »Tja«, damit stellte sie das Töpfchen neben ihn nieder, »denn wirst’s wohl mit ins Grab nehmen müssen. Dabei könnt ich dich ganz gut leiden, das weißt du ja, wenn du bloß nicht so unverschämt wärst.« – »Stine«, rief er, »daß ich dich geküßt hab, ist eine so große Sache, – reiß mir die Ohren ab, wenn du willst, aber nunweiß ich doch, wie deine Lippen schmecken.« Sie schlug ihn mit der Rückseite ihrer Finger leicht auf den Mund: »Hast ja schon ein Schnurrbärtchen, Junge, wär’s nicht dunkel, würf’s einen Schatten. Nun laßt euch die Wiener hier noch heute nacht schmecken. Für morgen übernimmt Albert keine Garantie. Und sag deiner Mutter, Freitag früh um sieben könnt sie bei mir anfangen. Und wenn sie noch früher will, soll sie mir nur einen Zettel durch die Tür stecken. Dann richt ich’s schon ein; stell das Eingeweichte Donnerstag abend in die Waschküche und bring den Schlüssel zu euch rauf.« – »Aber bring ihn wirklich, Stine«, bat er dringlich mit Augen und Stimme. »So viele Jahre kenn ich dich jetzt, kein bißchen hast du dich verändert, höchstens schöner bist du geworden. Und keine Kinder.« – »Kinder auch noch«, damit schickte sie sich an, hinabzusteigen, »in diese kümmerliche Welt.« Er schob sich wieder dicht neben die Luke. »Sag’ nichts dagegen, Stine. Wenn auch dein Albert den Mitläufer macht. Die Welt ist soso, mitlaufen tun alle, aber das Leben schmeckt herrlich.« Es gelang ihm wieder, ihre Schultern zu umfassen, ihre Lippen heftig zu berühren. »... bloß was gegen den Albert, du Knirps!« Ihre Augen glänzten zornig, die seinen aber so glücklich, daß sie alles weitere verschluckte: wem er denn die Ziehharmonika verdanke, und so. Leicht und vorsichtig stieg sie die Leiter hinab, ihr Kopf verschwand unterhalb der Luke. »Bring mir wieder ein Buch aus der Leihbibliothek, Stine!« rief er ihr bittend nach. »›Du und die Natur‹ oder ›Du und das Leben‹.« – »Das laß dir man von deiner Großmutter besorgen!« sprühte sie ungerührt zur Luke empor.

Drittes Kapitel
Krebsessen
I
    Herr Footh entzückte sich immer wieder an den Einfällen, die der reizenden Slawin Annette zu Gebote standen. Hatte sie nicht das Brusttuch, das er so sehr liebte, aus Stoffresten zusammengenäht, die von einem Sommerabendkleid übrigblieben, einem hellfarbenen,tiefausgeschnittenen Gewand, das mit seinen seeblauen, weißen und hellroten Kreuz- und Quermustern an die Trikoloren vieler Länder erinnerte, mit denen allen wir jetzt in Frieden lebten, einst aber im Krieg standen: Frankreich, England, Rußland, Amerika, der Tschechoslowakei. Wie schlank, bunt und geschmeidig sie sich bewegte, seideumflossen oder in kurzen Sporthosen. Daß man das rötliche Krebsgericht auf ebenso rötlichen Tischtüchern servierte, mit Mundtüchern aus dem gleichen Damast, hatte wohl auch praktischen Wert, der Flecke wegen. Wer aber bediente sich als Lichtspender bei einem

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