Das Beil von Wandsbek
Flugzeuge von Fuhlsbüttel her und übertosten das Rasseln der Kanonen, als Feldgeschütze auftauchten, die Kanoniere auf den Protzen, die schwarzen Mündungen gesenkt. Das Geräusch der Motore untermalte immer noch das ferne, befehlende »Vorwärts« der Trommeln und Pfeifen. »Komm bloß weg«, bat sie, »das sieht ja schon nach Krieg aus.« – »Ah was«, lachte er ärgerlich, »Aufmarsch zur Maifeier.« – »Hier in Ohlsdorf?« widersprach sie, »wo bleiben sie denn? Stürzen sie in den Teich?« So schien es. Schon vor den Ufern verschlang sie der Nebel, aber sie zogen dahin, Reihen hinter Reihen; die ganze Garnison von Groß-Hamburg, jetzt doch eigentlich in Österreich, hätte nicht ausgereicht. Er rieb sich die Augen, herantreibende Wolken verstellten ihm den Weg, er schaute scharf prüfend hin, hatte sie gesehen. »Na schön«, sagte er, »nehmen wir’s wieder weg«, und er bückte sich nach dem Beil. »Aber wohin damit?« – »Doch nach Fuhlsbüttel«, antwortete sie entschlossen. »Dort gehört’s hin. Leg’s deinem Doktor auf die Schwelle, nur nicht mehr zu uns.« Er nahm es auf, reinigte das Blatt von der Erde, hüllte es wieder in das Wachstuch, mit dem er es zugedeckt, bevor er das Reisig drüber geordnet, und stapfte mit steifen Gliedern, die Zähne zusammengebissen, den Weg zurück, den sie gekommen waren. Dort standen die Räder, die hatten gewartet. Aber sie vermochten sich nicht auf die Sättel zu schwingen, mit steifen Gliedern führten sie sie, langsam, schwach, den zementenen Weg hin zur Umfassung, ins Freie. Sie hielten die Augen auf die Reifen gesenkt, schauten sie aber auf, so war da drüben vom Heerwurm keine Spur mehr zu erblicken. »Jetzt setzen wir uns hier an die Straße«, schlug er vor, »futtern unseren Kanten und trinken einen Schluck aus der Pulle. Mit leerem Magen kommen wir nicht bis hin.« Immer noch klang das Knattern von Motorrädern herüber, aber das konnten auch Ausflügler sein, die ins Freie strebten, den 1. Mai.
Sechstes Kapitel
Licht in Fuhlsbüttel
Von außen vermochte niemand zu entscheiden, ob das Licht hinter den verhangenen Fenstern der Koldeweyschen Dienstwohnung schon wieder brannte oder noch immer. Aber das zweite war der Fall: am letzten Tage des Monats April hatten die beiden Akademiker Dr. Koldewey und Dr. Neumeier ihre bürgerliche Trauung vor dem hamburgischen Standesbeamten vollziehen lassen. Als Trauzeugen fungierten von seiten der Braut ein gebräunter, gutgewachsener SA.-Mann, ihr Neffe Bert Boje, von seiten des Bräutigams, statt Herrn Oberstleutnant Lintze, die in der Gelehrtenwelt nicht unberühmte Person des Professors Walter Rohme, der sich eben in unserer Stadt aufhielt, um einem Rufe an die Harvard University zu folgen. Da an dieser Hochzeit alles ungewöhnlich war, würde es also diesem Trauzeugen und seiner Gattin Claudia, der geborenen Eggeling, überlassen bleiben, die Hochzeitsreise anzutreten. Koldeweys ihrerseits konnten und mochten vor den Sommerferien nicht daran denken. Da der heiratende Witwer über ein vorzüglich eingerichtetes Hauswesen verfügte, kam das hamburgische Wirtschaftsgewerbe um die Einnahmen, die mit einem solchen Hochzeitsmahl unbedingt verbunden waren – Hummer, mit Kastanien gefüllte Pute nebst jungen Spargeln, Waldmeisterbowle, die kraft eines alten Zeltinger Mosels und junger Maikräuter köstlich geriet, ward von einem fast schwarzen Burgunder abgelöst, bis eine gewichtige Flasche Sekt und ein heiterer Toast das spätbegonnene Mahl schlossen. Was sonst noch an Leckerbissen und Süßigkeiten auf die Gäste wartete, blieb Angelegenheit Annettes, der ältesten der drei jungen Damen Koldeweys, und ihres Assistenten, jenes Herrn Boje, denn die beiden jüngeren Töchter, Thyra und Ingebottel, flogen aus, das Recht der Jugend auf ihren eigenen Tanz im Asgardklub wahrnehmend. Daß diese alten Studienfreunde eine ganze Nacht darauf verwandten, nichts als gebildete Gespräche zu führen, fanden die beiden jungen Damen ohnehin zum Schießen. Ebenso, daß sie zu ihnen passende Ehegattinnen gefundenhatten, Papa noch dazu sehr spät. Mußte Annette sich opfern – geschah ihr schon recht; sie hatte ihren Teil dahin. So wischten sie davon, wurden entführt, und indes Annette und Boje ein symphonisches Konzert des verpönten Dirigenten Toscanini aus New York anhörten, unterbrochen von Reportagen des Großsenders Moskau über den Aufmarsch zur Maifeier auf dem Roten Platz, tasteten die beiden Ehepaare, das »erprobte«
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