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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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schon was eingefallen, scheint mir, vielleicht ist’s ihm auch, und wir haben’s bloß nicht gelesen. Er hätte vielleicht gesagt, der bürgerliche Geist oder auch der junkerliche, da es sich um Bismarck handelt, schiebt immer dann das Volk vor, wenn es seiner eigenen, quer über alle Grenzen geschichteten Klasse schief gegangen ist. Die Bauern und Arbeiter der ganzen Welt leben als mehr oder minder stumme Mitte und Substanz einer Kugel, deren Oberfläche blank poliert von der guten Gesellschaft dargestellt wird – in der ganzen Welt. Diese gute Gesellschaft, zu der auch wir gehören, regiert sich selbst und die ganze Materie der Kugel. In manchen Ländern wird diese Materie befragt, in manchen Ländern, wie bei uns, nur von Zeit zu Zeit um ihre Zustimmung ersucht. Gespielt aber wird das Menschenspiel rund um die Erde von den Angehörigen der gleichen Kaste, in die ja nun beständig Leute von innen aufsteigen. Bei uns diesmal viele Tausende, gehüllt in Uniformen. Aber, lieber Rohme, wären Sie geworden, was Sie sind, wenn Sie als Student in einer Kaserne gewohnt hätten und nicht in der akademischen Freiheit? Hätten Sie Ihre Claudia gefunden, wenn Sie nach Rassegesetzen hätten wählen müssen? Finden Sie nicht, daß ein Deckel über dem Kopf, auch der einer Militärmütze, dem freien Denken immer schlecht bekam? Wir sind Produkte des alten Deutschland und haben keine Ahnung, womit uns die des neuen überraschen werden. Vielleicht mit Großtaten, vielleicht mit Scheußlichkeiten.« – »Mit den ersteren, mit den ersteren«, rief Claudia überströmend. »Ich habe so viele wertvolle Jungen und Mädel in Zürich kennengelernt und so groteske und schiefe Emigranten beobachtet, daß ich über die Selektion ganz beruhigt bin, die unser Vaterland jetzt treibt. Was aber den Justus Langhammer angeht« – von der Diele her, aus dem Treppenhaus schlug eine Uhr mehrere Schläge, ob vier oder fünf hätte niemand zu sagen gewußt. Gleich danach aber öffnete sich die Tür, und der junge Herr im Abendanzug, Bert Boje, erschien in ihrer Füllung, hinter seiner Schulter dasheitere Gesicht der reizvollen Annette. Er trug aber auf beiden Armen und Händen eine blaugrüne Glasschale von der Größe einer kleinen Tischplatte, die, einem antiken Rundschild gleich, statt des erhabenen Buckels eine ebenso gewölbte Vertiefung enthielt. Aus ihr nun quollen Stiele und Blüten einer Urwaldliane, einer unwahrscheinlich gestalteten, goldgrünen Traube gleich, die statt Beeren geöffnete Blumenmäulchen enthielt, aus welchen rote Staubgefäße und schneeweiße Stempel strahlten – auf der schimmernden Glasplatte, ein zauberhaftes Geschenk. »Aus Buenos Aires«, damit verneigte sich der junge Mann und setzte die Platte oder Schale der Braut gegenüber auf einen runden Schemel, so daß ein Blumentisch entstand, den kein Kunstgewerbler glücklicher hätte entwerfen können. Herb und süß drängte sich sein Duft in den Geruch der Tabake und Getränke. »Unwahrscheinlich«, sagte Käte Neumeier, indem sie ihr Gesicht darüber beugte, die üppige Ferne und Fremde einatmend. »Mit dem Auftrag dieses Urwaldkind nicht vor dem ersten Mai zu übergeben. Da du, Tante Käte, diese ganzen Wochen aufs heftigste abgelenkt und beschäftigt warst, gelang der Spaß. Für die Vase aber bin ich nicht verantwortlich. Der Geber sandte uns den Zaster, den Geschmack aber stiftete – nun wer?« – Die Beschenkte wandte sich an Annette, zog sie in die Arme und küßte sie. »War sonst noch etwas dabei?« fragte Herr Koldewey lebhaft. »Doch«, bejahte der freundliche Bote, entnahm seiner Westentasche ein Aluminiumröhrchen, geschlossen und versiegelt, das früher einmal medizinische Tabletten enthalten haben mochte, und bettete es auf den breiten Glasrand, zwischen die Ranken und Kelche. »Aha«, rief die Braut, »er hat nichts vergessen. Alte Liebe gibt treue Freunde.« – »Darf ich’s verwahren«, fragte Herr Koldewey, »bis wir ein Zeichen bekommen, es zu öffnen?« Frau Käte nickte, die Blicke auf das köstliche Farbenspiel blaugrünen Glases, satten Mooses und goldgrüner Blüten gesenkt. Karl August also entsann sich des ersten Mais noch, der Rolle, die er damals bei ihnen gespielt – vielleicht hatte sie darum, ohne es zu wissen, den gestrigen Morgen zur Trauung vorgeschlagen ... Wie hatten sie damals den Maibaum umtanzt, Reigenlieder gesungen, von Jugendfrische und Frühlingsglück überströmt ... Und nun diese Gegenwart, einHerbst reifer

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