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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Papa! Du willst doch nicht, daß wir unser schönes Abendbrot Annetten wieder zur Verfügung stellen auf dem Estrich!« – Und Frau Dr. Neumeier, die energische Falte immer zwischen den Brauen, auch wenn sie harmlos und belustigt weder Fragen noch Rätseln nachging, glättete die Wogen, indem sie anmerkte, daß Menschenfleisch essen nur zu religiösen Zwecken erlaubt war auch bei den Kannibalen, daß es aber sonst mit bestem Recht unwiderstehlichen Ekel auslöse: »›Langschwein‹ nannten es die Südseeinsulaner, solange sie es essen durften, und vereinigten so Frömmigkeit mit Gourmandise.« – Annette aber, um das Gespräch herumzuwerfen: »Ist Gourmand hier nicht falsch, muß es nicht ›Gourmet‹ heißen?« Man war inzwischen bei den Käsestangen angelangt, bitterer Schokolade und süßem Mokka. Wo nur das Telephon bleibt, plagte sie sich in ihres Herzens Hintergrunde.
    Damit brach man in den Garten auf, die beiden Herren einzuholen, deren weiße Stehkragen bereits vom Fuße der Treppe her nur noch undeutlich heraufschimmerten. Thyra und Inge eilten ihnen nach, ihre Füße, von Jugend auf geübt, schnurrten trotz ihrer absatzhohen Tanzschuhe die Stufen gleichsam hinab. Es gelang ihnen, den Vater noch innerhalb des Vorplatzes zu erreichen, zu umschlingen und abzuküssen; Herr Koldewey spürte die Tanzlust in den beiden jungen Körpern pochen, die sich an seine krachende Hemdbrust drückten. Indem er mit jeder Hand einen der langausgestreckten nackten Arme festhielt: »Was für Feste erwarten euch denn heute, da Jazz doch verboten ist?« – »Fox und Slowfox, Tangos aus Rio, Rumbas aus Mexiko«, damit drängten die beiden Unbelasteten auf ein Pförtchen in der Mauer hin, vor welchem verabredungsgemäß Hupentöne erschollen. »Holt ihr euch sofort eure Mäntel, ihr Gören?« rief Annette den Enteilendennach, sich übers Geländer beugend. Auch sie hätte gern getanzt.
    Die beiden Herren schlenderten derweil in später Dämmerung unter den Ebereschen und Pappeln hin, die mit Buschwerk aller Art die hohe Mauer unsichtbar machten, innerhalb derer Dr. Koldeweys Dienstwohnung sich einordnete; gewundene Wege schnitten durch den Rasen und leiteten von Schneeballbüschen zu längst verblühtem Jasmin. Der Rauch der Zigarren verjagte die Mücken, die, Töchter des abklingenden Sommers, im Halblicht noch herumgeisterten, von Fledermäusen gejagt; übrigens galten sie schon als zu schwach, um mit ihren Rüsseln noch durch die menschliche Haut zu dringen. »Stimmt es, daß man Börsenvorstand Kley nahegelegt hat, endlich auszuwandern?« – »Eigensinniger alter Hebräer«, entgegnete Herr Footh achselzuckend. – »Ohne seine Stiftungen wäre die Universität Hamburg nicht so schnell zu ihrem berühmten bakteriologischen Institut gelangt. Jetzt kann sein Sohn bei uns nicht mal Privatdozent bleiben.« – »Möge es niemandem schlechter gehen«, meinte Herr Footh. »In welcher Form dieser Kley – hieß die Familie nicht eigentlich Alkaley? – seinen Rebbach wieder von sich geben muß, bevor man ihm gestattet, die Grenze zu passieren, ist ja nicht wichtig.« – »Tja«, meinte Herr Koldewey, »wenn dieser junge Dr. Kley nicht eine aufschlußreiche Hypothese über die Entstehung wuchernder Krebszellen aus normalen Geweben aufgestellt hätte. Er ging mit Thyra zur Tanzstunde in Fräulein Röthlichs Zirkel. Ich muß den Alten doch mal wiedersehen.« – »Hätte seinem Ältesten verbieten sollen, den Spaniernamen wieder aufzugreifen und für die Volksregierung von Madrid und Barcelona in den Krieg zu ziehen. Alle diese Narren wußten nicht, daß verkauft und verraten ist, wer sich der altbackenen Semmel annimmt, der Demokratie.« – »Verallgemeinern Sie nicht zu früh?« fragte Koldewey bedächtig. »In Italien und bei uns fiel sie ja ohne Widerstand, so viel muß wahr sein. Und die Franzosen, einst Jünger Clemenceaus, jonglieren vorsichtig – nehmen Flugzeuge bezahlt, die sie dann nicht liefern.« – »Heil!« lachte Herr Footh. »Der edle Völkerbund aber läßt sein Mitglied Abessinien im Stich, nachdem er sein Mitglied China bereits dem lieben Gott befohlen hat.Ein Großbritannien, das zusieht, wie man in spanischen Gewässern Handelsschiffe torpediert und rund um Gibraltar schwere Batterien aufpflanzt! Hätten Sie das für möglich gehalten? Nein, lieber Doktor, Demokratie ist alte Semmel. Was man damit am besten macht, müssen wir unsere Annette fragen. Küchensache, nichts anderes mehr.« – Herr Koldewey

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