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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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solchen Krebsessen eines Dutzends weißer Kerzen, die in roten amerikanischen Äpfeln auf dem Tisch prangten? Kalifornische Äpfel allein, in einer Einfuhrstadt wie Hamburg jederzeit erhältlich, wiesen jenes tiefe, gleichmäßige Rot auf, von welchem alle anderen Schattierungen dieser den heutigen Abend beherrschenden Farbe sich heller abwandelten. (Als gute Hausfrau sorgte Annette schon dafür, daß man sie morgen oder übermorgen gewaschen und zerschnitten zu Kompott verwertete.) Sehr kalter Rheinwein in geschliffenen Römern und ein Tischschmuck aus Efeublättern und wildem Wein, im Garten vor einer Stunde selbst gepflückt – , ja, Hamburg wußte, was bürgerliche Kultur ist. Die sechs Personen an dem langen, schmalen Eßtisch, den hochlehnige Stühle, wie im Refektorium eines Klosters, umstanden, hatten das Krebsgericht und seinen Dillgeruch sehr genossen; prangte doch ein Spaß Annettes zwischen den Kerzen, der Bürokalender ihres Vaters, auf welchem in riesigen, schwarzen Zahlen der 31. August – den letzten Tag eines Monats ohne R verkündete. Heute begrub man die Krebssaison, erst im Mai konnte man das köstliche Gericht wieder auf den Tisch bringen.
    Schwarz und weiß, wie feierliche Spechte, saßen die Herren Dr. Koldewey und Footh einander an den Schmalseiten gegenüber, zur Rechten des einen die Ärztin Käte Neumeier, das graue Haar kurz geschnitten, im Abendkleid aus gleichfarbener Seide, Herrn Footh zur Rechten aber Annette, die innerlich jubelte, daß ihr heut alles so gut glückte. Sonderbar nur, daß Herr Footh nicht angerufen wurde, wie er’s ihr doch zugesichert. Sie hatte das Mahl lange hingezögert, damit der Anruf käme, bevor sie imGarten, schlecht erreichbar, spazierten; mittlerweile hatte sie gedämpfte Tafelmusik aus dem Lautsprecher geholt und Tischgespräche hervorgerufen, die allen behagten, selbst den Schwestern Ingeborg und Thyra. Bei Licht besehen, wollten sich diese beiden jungen Damen, die man in ihren großblumigen Tanzkleidern kaum wieder erkannte, noch in den Klub abholen lassen, wo, wie gut das klappte, heut abend geschwoft wurde. Vorfeier für den Parteitag. Zwar tanzte Jugendlust auch ohne solche Vorwände, und die beiden Fräuleins flogen gern von Hause fort, wo es ihnen zu »kulturell« zuging. Diesmal aber hatte es Annette patent getroffen: ein hübscher Schlußtag für Krebse.
    Dr. Koldewey wandte sein langes Gesicht freundlich von seiner Tischdame zu seinen Kindern und wieder zurück. Da die beiden jüngeren dabeisaßen, sprach er wenig, hörte lieber zu. Sie waren seinen Ketzereien kaum gewachsen, hätten sie vielleicht in Parteikreisen herumgetragen, und das, obwohl Dr. Koldewey sich vor niemandem fürchtete, blieb besser vermieden. Er hatte sich den Prozeßbericht kommen lassen, die langwierigen Verhandlungen gegen seine vier Pensionäre in den Todeszellen, und einen nachdenklichen Tag verbracht, mit merkwürdigen Gleichnissen und Erinnerungen, die er gern in Worten losgeworden wäre. Aber der Nachwuchs zeigte kein Verständnis für das Auf und Ab der menschlichen Lebenswege, das Leute aus geordneten Bahnen in Zuchthäuser riß und wieder hinausführte. Der Nachwuchs nannte das Zentralgefängnis die »Müllzentrale«, seit es, nicht zur Freude von Dr. Koldewey, auch politische Häftlinge beherbergte, und drückte damit die Meinung all der Kreise aus, welche sich volltranken mit den Schwungreden der Gauleiter und Minister, vom aufsteigenden Leben, der flammenden deutschen Jugend, der Wiedergeburt und Erneuerung deutscher Nation durch Bereitschaft zu Krieg und Tod. »Alles, was Papa hier so betreut und beherrscht, gehört doch in die Mülltonne. Es ist menschlicher Abfall vom Kehrichthaufen der Gesellschaft.« – »Und ich habe Standartenführer Riechow sagen hören«, fügte Ingebottel hinzu (nach ungeklärten Vorgängen aus ihrer Kinderzeit mit der Milch- oder Breiflasche von sich selbst so benannt), »er mache sich anheischig, den ganzen Etat unserer Anstalt mit einem Maschinengewehrpostenzu liquidieren, während unsere Insassen in den Höfen spazierten. Dann bloß noch begraben.« – »Oder als Aalfutter in die Elbe.« – »Da Krebse den Aalen tüchtig vorgreifen, kämen unsere Insassen recht bald auf unseren Tisch. Und das möchtet ihr doch nicht«, lockte Dr. Koldewey seine Töchter aufs Glatteis. Sogleich erwies sich, daß er sie gut kannte – wild gewordene Spießerinnen mit Lebenswandel, wie er sie manchmal Annetten gegenüber betitelte. – »Hör auf,

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