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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Leitern reihten sich an seinen Wänden. Die Schräge des Daches gab dem länglichen Raum etwas Zeltartiges. Herr Koldewey öffnete das runde Fenster, Bullauge nannten sie es, wie auf Schiffen. Durch die Nachtluft, gleichsam aus den Dächern der verschwimmenden Baulichkeiten, erscholl ein Heulen, rhythmisches Schreien, erstickt und dennoch deutlich, wie von einem in der Falle gefangenen hungernden Wolf. »Im Frauengefängnis wird entbunden«, bemerkte Herr Koldewey; Annette aber, die schrägen Brauen nachdenklich gehoben: »Sonderbar«, entgegnete sie, »daß die kleinen Dinger meist die Nacht benutzen, um das Licht der Welt zu erblicken.« Vater und Tochter wußten beide, welch andere Deutung dieser menschlich-tierischen Schreie möglich war, seit das ZG. – Zentralgefängnis – in einem seiner Flügel auch ein KZ. – Konzentrationslager – beherbergte; aber sie sprachen nicht davon, hüteten ihre Gedanken sorgfältig, daran zu rühren. Am Unvermeidlichen zu rütteln, ist Pöbelgeschmack, sagte Nietzsche irgendwo, und daran hielt sich Herr Koldewey. Man mußte wegsehen lernen. Alte Geschlechter erkennt man an der Fülle dessen, was sie nicht zu bemerken geruhen. – »Von hier aus sah deine liebe Mutter dem traurigen Schauspiel zu, als es sich in den Tagen des Kaiserreichs ein einziges Mal ereignete. Seither stand unsere Guillotine in der Museumsabteilung. – In den Tagen der armen Republik wurde sie nicht benutzt. Jetzt auch nicht«, fügte er nach einer kleinen Pause hinzu, »Herr Göring wünscht das Hackebeil, der kleine Germanenschwärmer. Zwischen diesen beiden Fakten liegt mancherlei ... begraben.« – »Käte Neumeier hat sich bereits vorgemerkt«, erwiderte Annette. – »Als Ärztin wahrscheinlich ihr gutes Recht.« –
    Oberhalb der Wipfel, die im Mondlicht flirrten, sahen Vater und Tochter am Ende ihres Blickfeldes zwischen den riesigenFlügeln des Zentralgefängnisses einen spitzwinkligen Hof. Gleich den meisten modernen Anstalten dieser Art war es auf dem Grundriß eines schrägen Kreuzes errichtet, so daß man von einer Halle im Inneren, dem hohlen Turm eines Treppenhauses ähnlich, die langen Fluchten der Gänge mit ihren Zellen überwachen konnte. »Ihr müßt euch natürlich meines guten Glases bedienen, achtzehnfache Vergrößerung, dann seid ihr halbwegs dabei und braucht doch nicht zu hören. Die Wahrnehmungen des Auges wirken nicht so erregend wie die des Ohres; Abstufungen des Wirklichkeitswertes unserer Sinne, würde Freund Nietzsche so etwas nennen.« Damit legte er seinen Arm um die Schultern der Tochter, sie hinabzuführen. »Wollen lieber das Fenster schließen«, meinte Annette, »morgen kann’s regnen.« Dann machte sie auch noch Licht, blickte sich als Hausfrau um; nickte; Frau Brose hielt sauber, kaum Spinnweben, und die Dielen wie gewachst. Sie schloß die Tür wieder ab und hängte den Schlüssel an seinen Platz, indes der Vater dabei stand. Dann folgte sie ihm die Treppe hinab, die feinen Brauen gerunzelt, den Blick der langgeschnittenen Augen zweiflerisch, fast gequält auf seinen Schultern. Es wurde erst wieder gesprochen, als er sich im Herrenzimmer, einem kleinen quadratischen Raum, einen Zigarillo angezündet hatte, ihr eine runde amerikanische Zigarette anbietend, die sie des Nachts vorzog. »Und ich dachte, ich hätte dir wunder welchen Gefallen getan.« – »Hast du auch, Girlie«, erwiderte er. »Ich erklärte dir’s ja schon – mein kluges Nettchen hat’s doch wohl nicht vergessen? Daß ich es als Signal auffasse, wie?« – »Signal wofür?« fragte sie. – »Das wird sich weisen. Vorläufig tritt ein Majordomus mit seinem Stabe vor den Vorhang und teilt mit, das Spiel beginne. Welches, wissen weder die Gäste noch die Spieler. Das muß es früher gegeben haben, in Stegreifzeiten gleich den unseren.« – »Du machst mir Angst, Papa.« – »Doch wohl nicht, Liebling.« Er setzte sich in die andere Ecke des Ledersofas, legte das rechte Bein über das linke, blickte zur Decke empor und sprach in zögernden Sätzen: »Ich dachte in diesen Tagen viel über Lebensläufe nach. Das mußt du gemerkt haben. Für Gelegenheiten, wie wir sie haben, hätte unser Freund Nietzsche wahrscheinlich all die mageren Groschen geboten, die ihm seine unsterblichen Werke zu Lebzeiteneinbrachten. Seit der Renaissance hat es das nicht mehr gegeben. Und gar bei uns. Weißt du noch, wer Van der Lubbe war?« – »Aber Papachen, den kennt doch jedes Kind, den Reichstagsbrandstifter.«

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