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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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und ihn weder verfallen zu lassen noch zu verlängern. Frau Lehmke hatte gestrahlt, ihr Mann befriedigt die Backen aufgeblasen – Madam Teetjen, die Lorelei mit Straß, würde Frau Fooths Weg vorderhand nicht mehr kreuzen. Dies aber hatte für Klaas Vierkant nur Kleinkram bedeutet, in den Pausen zu erledigen. In Wahrheit hatte er mit gespitztem Bleistift dagesessen, um abzuhorchen, was das Ausland, Frankreich und England, über die Schlagkraft der Reichswehr dachte, ob es über die sturmreif geschossene Tschechei zum Krieg kommen würde und ob man von Konflikten zwischen Heer und Partei in den Äther hineinfabelte. In den engsten Kreisen des Informationsdienstes war inzwischen bekannt geworden, daß im Jahre 1933 Herr Pilsudski und im Jahre 1936 die Regierung Sarraut bereit gewesen waren, in Deutschland zu intervenieren. Erst als Adolf Hitler seine innerpolitischen Gegner niederwarf, dann als er den Schritt ins Rheinland wagte, um es wieder zu befestigen. Beide Male waren ihm Generäle, Angsthasen in Prachtuniformen, hindernd in den Weg getreten. Er hatte sich mit äußerster Nervenkraft durchsetzen müssen. Vor dem Sprung nach Wien hatte er sich schon besser vorgesehen. Aber jetzt, angesichts der rabiaten Tschechen, glich das diplomatische Feld einer höchst gespannten Schachverkettung. Die Bolschewiken waren ausmanövriert, kaltgestellt – grundlegendes Faktum. Die Tschechoslowakei wurde nicht als solche angegriffen, sondern als Vorposten Rußlands und vorletztes Unrecht der Versailler – zweites Faktum. Nur wenn Deutschland sie kriegerisch attackierte, würde für Frankreich der Kriegstrumpf ausgespielt. Vermochte Adolf Hitler die notwendigen Grenzregulierungen, die Abtretung der sudetendeutschen Randgebiete durchzusetzen, zwar durch Entfaltung militärischer Machtmittel, aber ohne förmliche Kriegserklärung, so brauchten Frankreich und England nicht zu marschieren, und der Friede blieb erhalten – er, dieser lächelnde Knabe mit der Schalmei und dem Blütenkranz im Haar, der dem vertrauensvollen Mr. Chamberlain und seinen Heerscharen und Lordschaften so teuer war. England, England an der Wand, wer ist der Schönste im ganzen Land, durfte der Führer dann fragen, das triumphierende Genie. Schon hatte erden alten Grafen Westarp im Zuchthaus unschädlich machen können, zur Wut gewisser Achselstücke. Gelang jetzt dieser Coup, so mußte auch der letzte Schritt gelingen, der dem Schönheitsfehler Europas galt, dem polnischen Korridor. Alles ohne Krieg, aber nichts ohne das Risiko des Krieges. Nun fanden sich in Deutschland noch immer alte Leute, junkerliche Kreise, die das junge Reich nicht verstanden, welches doch wirklich Kraft genug für tausend Jahre europäischer Vormacht in sich barg. Leute mit hohen Namen und Ämtern, denen das Jahr 1918 in den Knochen stak, das was Bismarck den Cauchemar oder Alpdruck der Koalitionen getauft hatte. Es war ihnen zuzutrauen, wie aus Berlin gemunkelt wurde, daß sie voll Todesangst nicht nur transpirierten, sondern auch konspirierten, um Wagnisse auszuschließen, und daß in solchem Zusammenhang der Herr Graf Westarp daran glauben mußte. Wer am 30. Juni, vor kurzen vier Jahren, seine eigenen Getreuen dem Herrgott opferte, würde über Zwirnsfäden nicht stolpern. Diese Leute begriffen nicht, daß Demokratien außerstand sind, in einer Generation zweimal Krieg zu führen, richtigen Krieg. Auf Biegen oder Brechen. Und daß man also nur bis zu den Zähnen gerüstet und entschlossen sein mußte, alles zu wagen, um alles zu gewinnen. Ohnehin würde der Kampf mit Rußland um die Ukraine und ihre Zugänge bitter genug werden. Aber dann stand Deutschlands Sternbild für eine astronomische Zeit im Zenit Europas, die schöpferische Macht ward auch die politische Vormacht des Erdreichs, und zwischen den Angelsachsen im Westen und den nach Osten abgedrängten Russen breitete die deutsche Schirmherrschaft ihre siegreichen Fittiche aus. Deutschland als Zuchtmeister und Maßstab Europas, wie der große George ihn gedichtet. Der war zwar in der Schweiz gestorben, seinem Jünger Goebbels den Rücken kehrend, nun, so mancher Mann war kleiner geraten als seine großen Konzeptionen. Und nun hing alles davon ab, wie sich in diesen Tagen, vielleicht in diesen Stunden, das Weltrad drehte. Er, Klaas Vierkant, der hier die Wagnerstraße hinabschritt und eben in die Wandsbeker Chaussee einbog, um auf die Linie 1 zu warten, er wußte, alles würde gut gehen. Das Rad drehte sich für Adolf Hitler.

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