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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Hauptbelastungszeugen gewartet, die irgendwo in Persien verschollen waren, danach so lange verhandelt, bis vier Todesurteile herauskamen und schließlich die Krankheit des Scharfrichters erfunden, um den Kampf auszufechten, der hinter den Kulissen tobte, weil es ja in Hamburg immer noch Richter gab. Junge, Junge, sieh dich für. Lebst in einer gefährlichen Dschungelgegend, Hamburg genannt oder Deutschland. Und kannst dich freuen, wenn du bloß wegen Einbruchs verknackt bist, Blutschande oder Urkundenfälschung; das sind einfache Tatbestände, aus denen auch der ehrgeizigste Staatsanwalt keinen Hochverratsprozeß fingern kann. Und jetzt also wollen sie einen Kerl gefunden haben, der sich dazu hergibt, vier unschuldige Volksgenossen zu killen. Bei der Frage, welcher von den Naziorganisationen der Betreffende wohlangehöre, erhob sich ein Streit in der Tischlerwerkstatt, der fast in Tätlichkeiten ausartete. Aus den Kreisen der SA.? Das sag’ du noch einmal. Zu so was läßt sich ein SA.-Mann nicht herbei. Da mußt du schon zum freiwilligen Arbeitsdienst gehen oder zu der SS., mein Sohn. Die SA. von heute ist nicht mehr die von dreiunddreißig, wenn dich einer danach fragt. Im übrigen wußte ja jeder Rattenschwanz in St. Pauli, daß da die Reichswehr dahinter steckte. Den Friedrich Timme hatten sie auf dem Strich, den wollten sie kriegen, seit anno achtzehn. Unter der Republik, mein Junge, da ging das nicht. Aber als der Hitler den Reichstag angezündet hatte, das war ein Signal. Von da an durften sie sich alles erlauben, die Herren mit den Achselstücken, auch wenn’s einem General damals ans Leben ging, am dreißigsten Juni vor gut drei Jahren. Da spielten halt dumme Zufälle mit. Aber im ganzen, mein lieber Mann, wer regierte in Deutschland, he? Über der Antwort auf diese Frage wäre es zu den schon angedeuteten Tätlichkeiten gekommen, hätten die Aufseher nicht Ruhe geschafft. Die einen behaupteten, die wahren Herren seien die Generäle, die anderen die Banken, die dritten stimmten für die Industrie, und eine vierte, schüchterne Meinung meldete sich für die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, die Nazis. Aber diese wäre am ehesten niedergeschlagen worden; sie hatte die wenigsten Anhänger unter den in der Tischlerei verwandten Sträflingen.
    Der erste Mensch, auf den unsere Neuigkeit eine gewisse Wirkung ausübte, tiefergehender vielleicht als die meisten Ereignisse ihres Lebens, war die Prostituierte Lene Prestow, Hauptentlastungszeugin und erstes Opfer der Reeperbahnvorgänge. Sie lag im Krankenhaus des Frauengefängnisses, in einem Saal mit vielen Betten, Hochparterre, das den Kranken erlaubte, auch im Liegen grüne Wipfel zu sehen, die jetzt schon gelb gesprenkelt waren, und zartblauen Himmel. Der Stich in die Lunge, den ihr der siebzehnjährige Anton Bräse an einer Straßenecke von St. Pauli versetzt hatte, war ihr schlecht bekommen, sie wurde anfällig, die Tuberkelherde, welche die meisten Menschen in ihrem Körper tragen, zersetzten das verletzte und geschwächte Organ; diemedizinischen Sachverständigen wußten, sie werde die fünf Jahre Gefängnis, zu denen sie ihrer Beleidigungen wegen verurteilt worden war, kaum zu einem Fünftel durchleben. (Sie hatte sich, einigen Rum und kein Mittagessen im Leibe, voller Empörung gegen das Homosexuellenunwesen ausgelassen, das unter dem Naziregime in der herrschenden Klasse Mode geworden sei und aus Hitlerjungen wie diesem Anton Bräse unlautere Konkurrenz für sie und ihresgleichen machte – wo sie doch Steuern zahlten und der bürgerlichen Gesellschaft dienten, ganz wie Soldaten, mit ihrem Körper; nur daß Soldaten eben ihren Kopf hinhielten, sie aber und ihre Kolleginnen die ...)
    Diese Lene Prestow nun, eine blaßäugige Blondine mit Sommersprossen und einem hübschen Stubsnäschen im sonst verfallenen Gesicht, riß ihre müden Lider hoch, als die Gefängnisschwester ihr das neue Anrucken der Maschinerie berichtete, der sie selber schon zum Opfer gefallen. Der junge Dr. Laberdan, der seit der Verabschiedung des Dr. Israelski die Gesundheit der drei unpolitischen Anstalten betreute, die da in Fuhlsbüttel beisammenlagen, des Gefängnisses für Frauen, für Männer und des Zuchthauses, dieser junge und phantasievolle Nazi-Arzt hatte das Bedenkliche im Zustand der Prestow die Apathie genannt, die sie bei so hohem Fieber zeigte. Lene Prestow war in diesen Minuten gerade die Schulentlassene Helene Prestow gewesen, Tochter und Älteste des zur

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