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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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arisch.
    Nächsten Morgen erwachte sie später als sonst, einen Schrecken im Herzen, dumpfen Gefühles, gefangen von einem Traum, der sich so deutlich vor ihr ausgebreitet hatte wie ein altholländisches Bild. Alle seine Figuren sah sie mit ungewöhnlicher Klarheit vor sich, farbig, scharf umrissen, kleine Gestalten, darunter sich selbst. Es war aber die Beerdigung der Lene Prestow auf dem Ohlsdorfer Friedhof, die sie da geträumt hatte, auf weißem Hintergrund, als liege schon überall Schnee. Insassen der drei Gefängnisse folgten in Viererreihen dem Sarg, den wer trug? Die vier Insassen der Todeszellen! Sie hatten es sich nicht nehmen lassen, die Gefallene im Klassenkampf feierlich zur Ruhe zu bringen, und marschierten mit abgewandten Gesichtern in ihren graugelben Jacken und plumpen Hosen, Hände und Füße durch Ketten miteinander verbunden. Rechts und links von jedem marschierte ein Wächter mit geladenem Gewehr, indes unmittelbar hinter dem Sarge Familie Prestow folgte. Die Mutter und die beiden Schwestern hatten schwarze Flöre auf ihre Hüte garniert, während Herr Prestow eine Ziehharmonika handhabte, Lenes Lieblingslieder in Märsche verwandelnd, Ännchen von Tharau und den Lindenbaum. Natürlich hatte die Träumende geträumt, die Internationale darf niemand spielen, die Internationale bekommt den Menschen schlecht – Kopf ab, Augen geradeaus. Gleichwohl sah man, daß all diese Marschierer Unbotmäßiges dachten, es rauchte aus ihren Köpfen, nahm die Gestalt von Schriftzügen an, Sütterlinschrift, Schülerschrift: »Wir lassen uns nicht! In fünf Jahren ist allesvorbei.« Aus dem Fenster lehnte der Kollege Laberdan, lang und dünn, ein Mikroskop neben sich auf dem Fensterbrett, in welchen er die Arbeit der Tuberkeln bei der Zerstörung der schwarzen, weißen und roten Blutkörperchen in der Naziflagge untersucht hatte. »Viel zu nachsichtiger Koldewey!« rief er ihr zu, »Rot überwuchert alles Hyperaemia socialis, ein Aderlaß ist notwendig, Köpfe müssen rollen.« – Bei diesen Worten richtete sich die tote Lene Prestow im Sarge auf, dessen Deckel plötzlich beiseite flog, schüttelte ihre Fäuste und schrie: »Gnade«, während die Wärter ihre Gewehre an die Backe rissen und ein Sandhaufen mit einem offenen Grab davor den Zug zum Halten zwang. Gnade. Dieses Wort hatte Käte Neumeier geweckt. Es war noch Zeit. Sicherlich hatten die Verurteilten Gnadengesuche eingereicht, die ihre Wirkung tun konnten. Sie mußte das feststellen. Koldewey würde wissen.
    Als sie unter der Brause stand, erst lauwarmes, dann kaltes Wasser auf ihrer bräunlichen Haut verteilend, verflüchtigte sich die Absicht, Annette sofort anzurufen, womöglich schon heute einen Sprung nach Fuhlsbüttel in ihrem Tagesprogramm unterzubringen. Man konnte sich nicht lächerlich machen, mußte vor allem klaren Kopf bewahren. Unwillkürlich nahm sie bei diesem Gedanken den Gummihelm vom Kopfe, der ihr kurz geschnittenes, graues Haar schützte, und genoß die Wonne, die Flut auch auf die Kopfhaut prasseln zu lassen. (Beim Frühstück den Föhn anstellen, notierte sie im Geiste.) Was sollte sich Annette denken, was der gescheite Herr Koldewey? Und was sie, Käte Neumeier, selbst? Sie seifte sich, schrubbte sich mit den Waschbürsten, rieb sich mit den rauhen Frottiertüchern ab – dies letztere schon im Schlafzimmer, dessen brauner Holzbelag, sogenannter Parkettfußboden, in Wände von ähnlich grünlichem Braun überzugehen schien. Der große Spiegel zeigte ihr das Bild einer kräftigen Frau in den besten Jahren, die es gut verstand, sich geschmeidig mit einem Handtuch herumzubalgen, um möglichst schnell und überall trocken zu werden, bei leicht geöffneten Fenstern und schwacher Herbstsonne. Schade, daß die Männer so dumm sind, dachte sie, und immer aus auf Jagd nach jungem Gemüse. Mit unsereinem wären sie viel besser dran. Wie hieß doch der Franzose, derdie femme de trente ans entdeckte? War es Maupassant oder schon ein früherer? Ich muß Koldewey fragen. Auf alle Fälle ist jetzt die femme de quarante ans an der Reihe. Ob unsere neue Literatur das leisten wird? Wahrscheinlich nicht. Heute trägt man Heroismus, großes Leben gestaltend, klassisch idealistische Form. Was bis jetzt herausgekommen ist, entspricht dem freilich wenig, Lehar und Rudolf Herzog mit Ehrenpreisen gekrönt – Wachtmeistergeschmack. Ja, es ist lange her, daß ich Haut an Haut mit jemandem gelegen habe. Wirf’s zu dem übrigen. Wäre ich damals schon so

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