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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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verkörpert durch einen Major Walter Buch, den sie, Käte Neumeier, aus ihrer Studienzeit dort zu kennen glaubte. Aber auch Berlin zog die Augen auf sich – was damals in Hamburg vorging, wurde kaum bemerkt. Und da saß sie nun jetzt in ihrem Arbeitszimmer bei ihrer augenhygienisch entworfenen Lampe, beide Ellbogen aufgestützt, beide Hände ins Haar vergraben, und las. Und dennoch hätte sie nichts richtig gesehen oder verstanden, wenn der verdammt kluge Koldewey dieser Denkschrift nicht die beiden Anlagen hinzugefügt und eingeklebt hätte. Eine Bildbeigabe des Hamburger Fremdenblattes in Kupfertiefdruck, zwei Photographien reproduzierend, welche schon in seiner Ausgabe vom November neunzehnhundertachtzehn abgebildet worden waren, und einen Artikel auf gelblichem Papier, in lateinischen Lettern gedruckt und offenbar aus einer Emigrantenzeitschrift herausgeschnitten, der Neuausgabe und Fortsetzung einer Berliner Wochenschrift, die Käte Neumeier in den Tagen des »Systems« regelmäßig gelesen, ja abonniert hatte. Später hatte sie ihr die Gefolgschaft gekündigt und die gesammelten Jahrgänge verschenkt. Endlich ging sie zu Bett und löschte das Licht. Aber dann lag sie noch lange wach, überprüfte und ordnete, was sie gelesen hatte, verdaute es, hob es in Klarheit, als wäre es eine Prüfungsaufgabe aus dem Physikum oder ein schwieriger Fall.
    Mit Schimpfreden der angetrunkenen Lene Prestow hatte esbegonnen, gegen hohe SA.-Führer und die jungen Männer, die sich als Lieblinge für sie hergaben. Aber in jener Gegend, jenen Lokalen waren schon früher Mitglieder der alten republikanischen Schutzbünde mit den Anhängern der Völkischen in Streit und Schlägerei zusammengestoßen: Befand sich doch damals schon das deutsche Volk, von Arbeitslosigkeit, Inflation und Trustgewinnen auseinandergerissen, im Zustand notdürftig weggeschminkten Bürgerkriegs. Ein Pröbchen davon entbrannte auch in dieser Nacht. Beide Parteien holten Hilfstruppen herbei, Revolver gingen los, eine Anzahl Menschen fielen. Als die Polizeistreifen den Knäuel der Kämpfenden zusammengetrieben, mit Gummiknüppeln und Kolben überwältigt, gesondert und verhaftet hatten, gaben die Beamten zu Protokoll, den Setzer Friedrich Timme mit der Waffe in der Hand gesehen zu haben, zwei der Nazis behaupteten, er habe ihre Freunde erschossen. Der Buchhandlungsgehilfe Mengers hatte Blut an den Händen; daß er nur einen der Niedergeschossenen beiseitegeschleppt habe, ihn zu verbinden, wurde ihm nicht geglaubt. Der Werftarbeiter Merzenich und der Dreher Willi Schröder wurden von anderen als Hauptschläger und -schießer angegeben. Alle hatten noch im Jahre zweiunddreißig Kampfbünden der Linken angehört, dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und der kommunistischen Rotfront. Mehrere Unbekannte mochten rechtzeitig geflüchtet sein, nachts zwischen elf und zwölf, wenn sie die Gegend gut kannten. Sieben Verwundete wurden ins Krankenhaus gebracht, drei Tote in die Schauhalle. So hatte es begonnen. Merzenich, Schröder, Mengers und Timme blieben in Gewahrsam.
    Sie kamen auch nicht mehr auf freien Fuß. Nach den ersten beiden Vernehmungen erließ die Behörde Haftbefehle gegen sie und brachte sie ins Untersuchungsgefängnis, in die große moderne Strafanstalt am Holstenglacis. Es ergab sich bald, wie der Kurs lief: auf staatsgefährliche Umtriebe, Vorbereitung zum Hochverrat. Die Zugehörigkeit zu den republikanischen Verteidigungstruppen rächte sich jetzt, dagegen konnten auch die Anwälte nicht aufkommen, die von den Familien der Angeklagten aus den alten Beständen der Anwaltschaft aufgesucht wurden, linksgerichtete und deutschnationale oder konservative Männer, die Muthatten und ihr Bestes taten, auch wenn es sich um Kommunisten handelte. Eine geordnete Rechtspflege war Hamburgs Stolz, eine Tradition von mehreren Jahrhunderten steifte ihnen das Rückgrat. Sie wehrten sich auch nach Kräften, als die beiden Hauptbelastungszeugen nach den ersten Monaten unauffindbar wurden. Ins Ausland gegangen, hieß es, was in Hamburg, der Schiffahrtsstadt, nichts Auffälliges an sich hatte; nur daß die beiden, Pießling und Bradt, länger als zwei Jahre verschollen schienen, ohne daß man das Verfahren deswegen einstellte ... Es mußte aber Stellen geben, die den Verbleib der beiden einigermaßen kannten und von Zeit zu Zeit Nachrichten von ihnen erhielten – Stellen, einflußreich genug, um den Gang der Dinge zu beeinflussen. In dem Aufsatz des Emigrantenblattes stand

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