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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Augenblicke entfernt zu sein, und sein Gesicht war furchtbar anzusehen. Selbst auf die Entfernung und in diesem kurzen Augenblick spürte Will, wie ihn ein gewaltiger, grausamer und gnadenloser Geist sengend durchfuhr.
    Außerdem hatte der Engel einen Speer - holte damit aus
    In dem Moment, in dem der Engel abbremste, sich auf richtete und mit dem Arm ausholte, um die Waffe zu schleudern, folgte Will Baruch und Balthamos durch das Fenster und schloss es hinter sich. Er drückte den letzten Spalt mit den Fingern zu und spürte noch die Druckwelle - dann war alles vorbei, er war in Sicherheit. In der anderen Welt hätte der Speer ihn durchbohrt.
    Sie standen auf einem Sandstrand und über ihnen leuchtete der Mond. Weiter landeinwärts wuchsen riesige farnartige Bäume. Entlang des Strandes erstreckten sich kilometerlang niedrige Dünen. Es war heiß und schwül.
    »Wer war das?«. fragte Will zitternd und sah die beiden Engel an.
    »Das war Metatron«, erwiderte Balthamos. »Du hättest ...«
    »Metatron? Wer ist das? Warum hat er uns angegriffen? Lügt mich ja nicht an!«
    »Wir müssen es ihm sagen«, erklärte Baruch seinem Gefährten. »Du hättest es schon längst tun sollen.«
    »Du hast Recht«, erwiderte Balthamos. »Aber ich habe mich über ihn geärgert und mir um dich Sorgen gemacht.«
    »Dann sag's mir jetzt«, verlangte Will. »Aber denk dran, es hat keinen Zweck, mir befehlen zu wollen, was ich tun oder lassen soll. Für mich ist nur Lyra wichtig, und meine Mutter. Und sie«, fügte er an Balthamos gerichtet hinzu, »sind der einzige Sinn meiner metaphysischen Spekulationen, wie du sie genannt hast.«
    »Wir werden dir sagen, was wir wissen«, entgegnete Baruch, »denn wir haben dich aus einem ganz bestimmten Grund gesucht, und aus demselben Grund müssen wir dich zu Lord Asriel bringen. Wir haben ein Geheimnis des Himmelreichs entdeckt - der Welt der Autorität, des Allmächtigen - und wir müssen es Lord Asriel mitteilen. Sind wir hier unge stört?« Er sah sich um. »Niemand kann uns hierher folgen?«
    »Das hier ist eine andere Welt, ein anderes Universum.«
    Der Sand, auf dem sie standen, war weich, und die Düne fiel sanft vor ihnen ab. Sie konnten im Mondlicht kilometerweit sehen und sie waren völlig allein.
    »Dann fangt an«, sagte Will. »Erzählt mir von Metatron und seinem Geheimnis. Warum hat dieser Engel ihn seinen Herrn und Gebieter genannt oder Regent? Und wer ist der Allmächtige? Gott?«
    Er hockte sich auf den Boden, und die beiden Engel, deren Umrisse er im Mondlicht deutlicher sah als je zuvor, setzten sich neben ihn. Ruhig begann Balthamos zu sprechen.
    »Der Allmächtige, Gott, Schöpfer, Herr, Jahwe, Adonai, König, Vater - diese Namen hat er sich alle selbst gegeben. Aber er war nie der Schöpfer, sondern ist ein Engel wie wir - der erste, zugegeben, und der mächtigste, aber aus Staub geformt wie wir, und Staub ist nur ein Name für das, was geschieht, wenn Materie sich ihrer selbst bewusst wird. Materie liebt Materie. Sie will mehr über sich wissen, und so formt sich Staub. Aus verdichtetem Staub entstanden die ersten Engel, allen voran der Allmächtige. Er sagte zu denen, die nach ihm kamen, er hätte sie erschaffen, aber das war eine Lüge. Eines der Wesen, die nach ihm kamen, war weiser als er. Sie fand die Wahrheit heraus, und deshalb verbannte er sie aus seinem Reich. Wir dienen ihr bis heute, und der Allmächtige herrscht weiterhin in seinem Reich und Metatron ist sein Regent. Doch was wir im Wolkenberg entdeckten, können wir dir nicht sagen. Wir haben einander geschworen, dass Lord Asriel es als Erster erfahren soll.«
    »Dann berichtet mir so viel, wie ihr könnt, lasst mich nicht länger im Unklaren.«
    »Wir gelangten also auf den Wolkenberg«, fuhr Baruch fort. »Verzeihung, wir benützen diese Begriffe so selbstverständlich. Der Wolkenberg wird manchmal auch Streitwagen genannt. Er steht nicht fest, musst du wissen, sondern bewegt sich von Ort zu Ort, und er ist das Herz des Himmelreichs, seine Burg, sein Palast. In der Jugend des Allmächtigen war der Berg noch nicht von Wolken verhüllt, doch im Lauf der Zeit sammelte der Allmächtige sie immer dichter um sich. Seit Tausenden von Jahren hat niemand mehr den Gipfel gesehen. Deshalb heißt die Festung heute nur noch Wolkenberg.«
    »Und was habt ihr dort entdeckt?«
    »Der Allmächtige selbst residiert in einem Gemach im Herzen des Berges. Wir konnten nicht in seine Nähe gelangen, doch haben wir ihn gesehen.

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