Das Bernstein-Teleskop
jetzt?«
»Nicht weit von hier. Er wäre sicherlich gekommen, als ich ihn rief, aber offenbar war er selbst in Kämpfe verwickelt ... Und Balthamos! Der muss ja einen gewaltigen Schreck bekommen haben ... «
»Wer?«
Er erklärte ihr mit geröteten Wangen, so als müsse er sich für den Engel schämen, was vorgefallen war.
»Ich erzähle dir ein andermal mehr von ihm«, schloss er. »Das ist alles so seltsam ... Er hat mir über vieles berichtet, und ich glaube, ihn verstanden zu haben ... « Er fuhr sich mit den Händen durchs Haar und rieb sich die Augen.
»Du musst mir alles erzählen«, sagte Lyra energisch. »Alles, was du erlebt hast, nachdem sie mich gefangen hatten. Ach, Will, blutest du immer noch? Deine Hand ... «
»Nein. Mein Vater hat die Wunde geheilt. Ich habe sie mir nur wieder aufgerissen, als ich dem goldenen Affen einen Schlag versetzte, aber es geht ihr jetzt wieder besser. Mein Vater gab mir eine Salbe, die er selber hergestellt hatte -«
»Du hast deinen Vater gefunden?«
»Ja, auf dem Berg, in jener Nacht ... «
Will ließ sie die Wunde säubern und mit etwas Salbe aus der kleinen Horndose versorgen, während er ihr von einem Teil der Geschehnisse berichtete: der Kampf mit dem Fremden, die plötzliche Erkenntnis, die beiden in der Sekunde kam, bevor der Pfeil der Hexe sein Ziel traf, seine Begegnung mit den Engeln, seine Reise zur Höhle und wie er zufällig auf Iorek traf.
»Das alles ist geschehen, während ich schlief«, wunderte sich Lyra. »Weißt du, Will, ich glaube, meine Mutter war lieb zu mir - wenigstens glaube ich das - ich glaube nicht, dass sie mich verletzen wollte ... Sie hat so viel Böses getan, aber ... «
Sie rieb sich die Augen.
»Und dann mein Traum, Will - ich kann dir gar nicht schildern, wie seltsam der war. So, wie wenn ich das Alethiometer lesen würde, die gleiche Erkenntnis, die in immer größere Tiefen geht und dabei doch wunderbar klar bleibt.
Es war ... erinnerst du dich, ich habe dir einmal von meinem Freund Roger erzählt, wie er in die Hände der Gobbler geriet, ich ihn wieder zu befreien versuchte und das Ganze am Ende schief ging und Lord Asriel ihn umbrachte?
Ja, und nun bin ich ihm wieder begegnet. In meinem Traum habe ich ihn gesehen, aber er war tot. Er war ein Geist und es schien, als wollte er mir ein Zeichen geben, mich zu sich rufen, nur konnte ich ihn nicht hören. Nicht, dass er auch mich tot sehen wollte, das nicht. Er wollte mir etwas sagen.
Und ... Nun, ich war es, der ihn dorthin nach Svalbard gebracht hatte, wo er umkam, deswegen bin ich schuld an seinem Tod. Ich dachte an die Zeit zurück, als Roger und ich zusammen spielten, im Jordan College, auf den Dächern und in der Stadt, auf den Marktplätzen, am Fluss und unten bei den Lehmgruben ... Roger, ich und alle anderen. Und dann ging ich nach Bolvanger, um ihn heil nach Hause zu bringen, aber leider machte ich alles nur noch schlimmer. Wenn ich ihn darum nicht um Verzeihung bitten kann, ist gar nichts Gutes dabei herausgekommen, nur eine riesige Zeitvergeudung. Deswegen muss ich das tun, Will. Ich muss ins Land der Toten gehen und ihn finden und ... ihn um Verzeihung bitten. Was danach geschieht, ist mir gleich. Dann können wir ... dann kann ich ... danach ist mir alles Weitere egal.«
»Dieses Land der Toten, ist das eine Welt wie diese hier, wie meine oder deine oder irgendeine andere?«, fragte Will. »Ist das eine Welt, in die ich mit dem Messer gelangen könnte?«
Beeindruckt von dieser Idee, schaute sie ihn an.
»Du könntest doch fragen«, fuhr er fort. »Frag das Alethiometer, frag, wo dieses Land liegt und wie wir dorthin gelangen.«
Lyra beugte sich über das Instrument und drehte rasch an den Rädchen. Eine Minute später hatte sie die Antwort.
»Ja«, sagte sie, »aber es ist ein düsterer Ort, Will ... so unheimlich ... Wollen wir das wirklich wagen? Sollen wir ins Land der Toten gehen? Und welcher Teil von uns könnte das tun? Denn die Dæmonen vergehen, wenn wir sterben - ich habe welche gesehen - und unser Körper, nun ja, der bleibt im Grab und verfault. Also?«
»Dann muss es einen dritten Teil geben. Noch etwas anderes.«
»Weißt du«, sagte sie ganz aufgeregt, »ich glaube, das stimmt. Denn ich kann über meinen Körper nachdenken und ebenso über meinen Dæmon - folglich muss es da noch einen dritten Teil geben, der dieses Denken ausübt!«
»Ja. Und das ist der Geist.«
Lyras Augen strahlten. »Vielleicht können wir Rogers Geist da
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