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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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zurufen:
    »Lyra, Lyra, meine Tochter, mein Schatz! Lyra, geh nicht fort! «
    Das Mädchen schaute bekümmert zu ihr hinab, löste aber dennoch den schwachen Griff der Mutter von ihrem Fußgelenk und stieg über sie hinweg. Die Frau schluchzte. Will sah Tränen auf ihren Wangen glänzen.
    Die drei Kinder kauerten sich neben den Höhlenausgang und warteten, bis das Gewehrfeuer einen Augenblick nachließ, dann folgten sie den Libellen den Pfad hinunter. Das Licht hatte sich verändert: In das kalte anbarische Licht der Luftschiff-Scheinwerfer mischte sich das Orange züngelnder Flammen.
    Will schaute sich um. Im grellen Schein war Mrs. Coulters Gesicht zu einer tragischen Maske erstarrt. Ihr Dæmon klammerte sich Mitleid erregend an sie, als sie auf den Knien händeringend rief:
    »Lyra! Lyra, mein Liebes! Mein Schatz, mein Kind, mein Ein und Alles! O Lyra, Lyra, verlass mich nicht! Meine allerliebste Tochter - du zerreißt mir das Herz -«
    Da wurde auch Lyra von einem tiefen, mächtigen Schluchzen ergriffen, denn schließlich war Mrs. Coulter ihre Mutter. Eine andere würde sie niemals haben, und Will sah einen Strom von Tränen über die Wangen des Mädchens laufen.
    Doch darauf durfte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Er fasste Lyra an der Hand, und als die Libellenreiter nahe an seinen Kopf heranflogen und ihn zur Eile antrieben, zog er das Mädchen zu sich und führte es im Laufschritt weg von der Höhle den Pfad hinunter. In seiner linken Hand, die noch vom Hieb, den er dem Affen versetzt hatte, blutete, hielt er Mrs. Coulters Pistole.
    »Klettert hinauf zur Klippe«, sagte der Libellenreiter, »und ergebt euch den Afrikanern. Auf ihnen ruht all unsere Hoffnung. «
    Eingedenk der spitzen Stacheln entgegnete Will lieber nichts, gleichwohl hatte er keinesfalls die Absicht zu gehorchen. Für ihn gab es nur ein Ziel: das Fenster hinter dem Busch. Geduckt lief er weiter, und Ama und Lyra folgten ihm.
    »Halt!«
    Vor ihnen standen drei Männer und versperrten den Weg, weiße Männer in Uniform, mit Armbrüsten bewaffnet und jeder mit einem knurrenden Wolfhund-Dæmon - die Schweizergarde.
    »Iorek!«, rief Will sofort. »Iorek Byrinison!« Der Bär konnte nicht weit entfernt sein, denn man hörte, wie er sich geräuschvoll seinen Weg bahnte, und auch die Schreie der Soldaten, die das Pech hatten, ihm in die Quere zu kommen. Doch noch jemand anders tauchte wie aus dem Nichts auf und kam ihnen zu Hilfe: Balthamos hatte sich in einem Anfall von Verzweiflung zwischen die Kinder und die Soldaten geworfen. Die Männer wichen in blankem Entsetzen vor dieser schimmernden Gestalt zurück.
    Doch die Gardisten waren kampferprobte Soldaten, und nachdem ihr Augenblick des Schreckens vorüber war, sprangen ihre Dæmonen mit bleckenden weißen Zähnen in die schimmernde Engelsgestalt - und Balthamos verließ der Mut. Er schrie vor Furcht und Scham und wich zurück. Dann erhob der Engel sich flügelschlagend in die Lüfte. Will sah entsetzt, wie die Gestalt seines Führers und Freundes durch die Baumkronen entschwand.
    Lyra hatte alles mit ungläubigen Augen verfolgt. Der ganze Vorfall dauerte nur ein paar Sekunden, aber das genügte den Gardisten, sich neu zu formieren. Ihr Anführer legte seine Armbrust an und ließ Will keine Wahl: Der Junge riss die Pistole hoch, zielte und drückte ab. Der Knall ging ihm durch Mark und Bein, und die Kugel traf das Herz des Soldaten.
    Der Mann fiel zu Boden, wie wenn ihn ein Pferd getreten hätte. Zur gleichen Zeit stürzten sich die beiden kleinen Spione auf die beiden übrigen Soldaten. Sie sprangen von den Libellen. Die Frau fand einen bloßen Hals, der Mann ein Handgelenk, wo jeder seinen Stachel mit einer raschen Rückwärtsbewegurng der Fersen in sein Opfer bohrte. Ein angsterfülltes, kurzes Keuchen, dann starben die beiden Gardisten unter dem heiseren letzten Geheul ihrer Dæmonen.
    Will sprang über die Leichen, gefolgt von Lyra, die Pantalaimon in Wildkatzengestalt an ihren Fersen spürte. Wo bleibt Ama?, dachte Will, und im gleichen Augenblick sah er sie einen anderen Pfad hinunterschleichen. Sie ist jetzt in Sicherheit, dachte er, und eine Sekunde später entdeckte er den schwachen Glanz des Fensters hinter dem Gebüsch. Er ergriff Lyras Arm und zog sie heran. Die Gesichter zerkratzt, die Kleider zerrissen und die Fußknöchel verstaucht, so kamen sie vor dem Fenster an und purzelten in die andere Welt, auf knochenbleiche Felsen unter einem kalten Mond, wo nur das Sirren von Insekten

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