Das Bernstein-Teleskop
Gyropter konnten nicht mehr landen.
Inzwischen hatte ein anderer Zeppelin weiter unten im Tal eine Lichtung entdeckt. Die Armbrustschützen waren ausgestiegen und kamen jetzt den Weg hochgerannt, um ihre bereits kämpfenden Kameraden zu verstärken. Mrs. Coulter folgte, so gut sie konnte, den Kämpfen vom Höhleneingang aus. Dann hob sie mit beiden Händen die Pistole, zielte sorgfältig und schoss. Will sah das Mündungsfeuer, hörte den Knall aber im Lärm der Explosionen und Schüsse draußen nicht.
Wenn sie noch mal schießt, dachte er, springe ich sie von hinten an und stoße sie um. Er wollte Balthamos in seinen Plan einweihen, doch der Engel war nirgends zu sehen.
Schließlich entdeckte Will ihn, wie er sich zitternd und wimmernd an die Höhlenwand drückte.
»Balthamos!«, rief er ungeduldig. »Komm! Dir können sie doch nichts tun! Und du musst uns helfen! Du kannst kämpfen, das weißt du doch du bist kein Feigling - und wir brauchen dich -«
Doch noch bevor der Engel reagieren konnte, geschah etwas Überraschendes.
Mrs. Coulter schrie auf und fasste sich an den Knöchel. Zur gleichen Zeit schnappte der goldene Affe mit triumphierendem Fauchen nach etwas in der Luft.
Eine Stimme ertönte, die ungewöhnlich helle und piepsige Stimme eine Frau. Sie kam von dem Wesen, das der Affe in den Pfoten hielt.
»Tialys! Tialys!«
Das Wesen war eine kleine Frau, nicht größer als Lyras Hand. Der Affe zog an einem ihrer Arme, und sie schrie vor Schmerzen. Ama wusste, dass der Affe nicht ruhen würde, bis er ihr die Gliedmaßen ausgerissen hatte. Will sah, wie Mrs. Coulter die Pistole aus der Hand fiel, und sprang auf sie zu.
Er fing die Pistole auf, Mrs. Coulter erstarrte und Will wurde Zeuge eines seltsamen Schauspiels.
Beide, der goldene Affe und die Frau, verharrten wie erstarrt. Mrs. Coulters Gesicht war vor Schmerzen und Wut verzerrt, doch wagte sie nicht, sich zu rühren. Auf ihrer Schulter stand ein kleiner Mann. Mit den Händen hielt er sich an ihren Haaren fest und die Ferse hatte er an ihren Hals gedrückt. Verblüfft sah Will, dass aus dem winzigen Fuß ein glänzender Stachel aus Horn ragte. Also deshalb hatte Mrs. Coulter eben geschrien. Offenbar hatte der Mann sie in den Knöchel gestochen.
Doch jetzt konnte er sie nicht mehr stechen, da seine Gefährtin in den Händen des Affen in großer Gefahr schwebte. Der Dæmon wiederum durfte der Frau nichts tun, weil sonst der kleine Mann seinen Giftstachel in Mrs. Coulters Halsvene gebohrt hätte.
Lyras Mutter holte tief Luft, schluckte hart, um die Schmerzen niederzuringen, und Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie sah Will an.
»Also, großer Meister«, sagte Mrs. Coulter ruhig, »was tun wir jetzt?«
Tialys und Salmakia
Mit der schweren Waffe in der Hand versetzte Will dem goldenen Affen einen solchen Hieb, dass er umfiel und benommen liegen blieb. Gleichzeitig stöhnte Mrs. Coulter laut auf. Die Pfote des Affen öffnete sich so weit, dass sich die kleine Frau losreißen konnte.
Flugs sprang sie auf die Felsen, worauf auch der kleine Mann von Mrs. Coulter abließ; beide bewegten sich so behände wie Grashüpfer. Den drei Kindern blieb kaum Zeit zum Staunen. Der kleine Mann zeigte sich besorgt: Er betastete vorsichtig Schulter und Arm seiner Gefährtin und umarmte sie kurz, ehe er sich Will zuwandte.
»Du da, Junge!«, rief er mit einer Stimme, die zwar nicht die Höhle erbeben ließ, aber doch so tief wie ein Männerbass klang. »Hast du das Messer?«
»Selbstverständlich«, sagte Will. Wenn die beiden nicht wussten, dass es zerbrochen war, würde er es ihnen gewiss nicht sagen.
»Du und das Mädchen, ihr müsst mit uns kommen. Wer ist das andere Kind?«
»Ama, ein Mädchen aus dem Dorf«, antwortete Will.
»Sag ihr, sie soll nach Hause gehen. Und nun rasch, ehe die Schweizergarde kommt.«
Will zögerte nicht. Ganz gleich, was die beiden vorhatten, er und Lyra konnten immer noch durch das Fenster entkommen, das er hinter dem Busch unten neben dem Pfad geöffnet hatte.
Er half Lyra auf die Beine und beobachtete verblüfft, wie sich die beiden kleinen Gestalten auf - ja, auf was eigentlich setzten? - Auf Vögel? Nein, auf Libellen. Die Flugtiere, fast so groß wie sein Unterarm, hatten im Dunkeln gewartet. Sie schossen auf den Höhlenausgang zu, wo Mrs. Coulter lag. Der schmerzhafte Stich des Chevaliers hatte sie halb betäubt. Gerade als die anderen an ihr vorübergingen, konnte sie noch den Arm ausstrecken und ihnen
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