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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Auch die weit ausladenden Beischläge und Vorbauten aus der Langgasse und der Brotbänkenstraße suchte man vergebens. Im Vergleich zu anderen Städten, die Carlotta während ihrer Kindheit im Tross des kaiserlichen Heeres und auf dem langen Weg von Frankfurt am Main nach Königsberg erlebt hatte, fanden sich allerdings auch hier noch recht ansehnliche, mehrere Etagen hoch aufragende Gebäude. Sie waren ausschließlich aus Stein gebaut, obwohl in den meisten von ihnen Handwerker und Kleinkrämer sowie weniger begüterte Gelehrte und Lehrer aus den vielen Schulen der Stadt ansässig waren.
    »Schade, dass die Kneiphofer sich so gar nichts mehr trauen«, meldete Hedwig sich wieder zu Wort. »Dein Christoph hat das schon richtig gesagt. Dabei stammt er aus der Altstadt, und die Altstädter sind eigentlich die Letzten, die sich ein Urteil über unsere Leute aus dem Kneiphof erlauben dürfen. Eine Schande ist das, was hier am Pregel gerade geschieht. Früher einmal waren die Kneiphofer wahre Helden, wie man am Wappen mit dem blauen Ärmel sieht. Weißt du, an wen das erinnert?«
    »Ja, natürlich«, entgegnete Carlotta. »Die alten Heldensagen über die Ahnen der Kneiphofer hast du mir oft genug erzählt. Der tapfere Hans von Sagan ist damit gemeint. Drüben im Schlosshof gibt es doch ein Bild von ihm, direkt am Turm, statt einer Wetterfahne. Der Ärmste muss ziemlich hässlich gewesen sein. Bis heute gibt es doch den Spruch, jemand sei hässlich wie Hans von Sagan.«
    »Das ist aber nicht die eigentliche Geschichte.« Hedwig blieb stehen und stemmte die Hände in die breiten Hüften. Froh über die neuerliche Pause, stellte Carlotta den schweren Korb ab und wischte sich über die Stirn. Den eisigen Temperaturen zum Trotz schwitzte sie, was Hedwig nicht kümmerte. Beseelt von der Geschichte, die sie zum tausendsten Mal zum Besten gab, hub sie feierlich an: »Es war bei der Schlacht von Rudau vor bald mehr als dreihundert Jahren. Die Deutschordensleute standen den Litauern gegenüber. Viele tapfere Männer waren schon gefallen, sogar die Fahne des Deutschen Ordens war mitsamt dem Träger zu Boden gestürzt. Das sah der einfache Schustergeselle Hans aus dem Kneiphof. Flugs ist er dem Fahnenträger beigesprungen, hat die Fahne aus dem Schmutz gezogen und sie stolz wieder aufgerichtet. Unter dem wehenden Banner haben sich die Ordensleute ein letztes Mal gesammelt und die Litauer doch noch besiegt. Zum Andenken an diese Tat hat man den Ärmel des ganz in Blau gewandeten Hans im Kneiphofer Wappen verewigt. Für alle Zeiten trägt er so das ruhmreiche Banner voran.«
    »Eine schöne Geschichte«, lobte Carlotta. »Wollen wir hoffen, dass sich nicht nur viele der Kneiphofer ihrer erinnern, sondern auch der Kurfürst selbst.«
    »Der Kurfürst? Wie kommst du jetzt auf den?« Verwundert hob Hedwig den Blick. Carlotta überragte sie inzwischen um Haupteslänge. Mit jedem Jahr schien die stämmige Frau dem Erdboden näher zu kommen. Ihre Hüften wurden dagegen immer breiter und die Beine krummer.
    »Das liegt doch auf der Hand.« Carlotta schenkte ihr ein Lächeln, das ihre gepflegten weißen Zähne entblößte. »Schließlich soll er wissen, mit welch tapferen Bürgern er es zu tun hat, wenn er den armen Schöppenmeister Roth wirklich auf Jahre gefangen halten will.«
    »Über so etwas macht man keine Scherze«, entgegnete Hedwig unerwartet schroff. »Komm endlich. Es wird Zeit, nach Hause zu gehen und das Feuer für das Mittagessen zu schüren.«
    Hastig eilte sie voraus. Carlotta blieb nichts anderes übrig, als sich mühsam mit der schweren Last durch das dichter werdende Gewühl zwischen Krämer- und Schmiedebrücke zu schieben und sich wieder einmal über den Sinneswandel der Köchin zu wundern.
    17
    M agdalena stöhnte auf und legte sich die Hand auf die Stirn, um die Kopfschmerzen zu lindern. Egloff hatte recht: Sie kümmerte sich in letzter Zeit nicht mit der nötigen Hingabe um das Kontor. Beflissen erklärte er ihr mittels der jüngsten Einträge im Kontorbuch, dass derzeit einiges im Argen lag. Sie runzelte die Stirn und bemühte sich, aufrichtiges Interesse zu zeigen. Dennoch fiel es ihr schwer, den Ausführungen zu folgen. Ihr Kopf schmerzte, Übelkeit beschlich sie. Trotzdem war es undenkbar, sich eine Pause zu gönnen. Sie presste die Hand fester gegen die Stirn.
    »Letztens war es diese unsinnige Order aus Eurer alten Heimatstadt Frankfurt am Main, die mich hat aufhorchen lassen«, hörte sie Egloff sagen. Unruhig

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