Das Bernsteinerbe
begrüßte die dicke Wirtin sie und strahlte über das ganze Gesicht. »Was verschafft uns die seltene Ehre?«
Erleichtert atmete Magdalena auf. Wenigstens bis hierher hatte sich die feindliche Stimmung gegen sie noch nicht herumgesprochen.
»Wo wollt Ihr Euch niederlassen? Was darf ich Euch bringen?« Diensteifrig scharwenzelte die Wirtin um sie herum.
»Danke, sehr freundlich«, wiegelte Magdalena ab, »aber ich komme zurecht.« Dennoch blickte sie sich ratlos in dem weitläufigen Raum um. Die meisten Gäste hielten die Köpfe dicht über die Krüge gesenkt, tief in das Feilschen um die besten Preise vertieft. Die sonoren Männerstimmen sorgten für ein Brummen ähnlich den Geräuschen in einem Bienenstock.
»Magdalena!«, vernahm sie von weit hinten deutlich ihren Namen. Der Akzent war unverkennbar. Auffällig gestikulierte Marietta durch die Luft und eilte auf sie zu. Das Lachen auf ihrem Gesicht wirkte aufrichtig. »Bringt einen weiteren Teller und noch einen Becher. Frau Grohnert wird den Imbiss mit uns teilen«, wies sie die Wirtin an.
Ihr weißblondes Haar war tadellos frisiert. Im sonnigen Licht hob es sich bestens vom Kobaltblau des fein glänzenden Taftkleids ab. Ohne Umschweife führte sie Magdalena zum Tisch im hinteren Teil des Gastraums, direkt bei dem Ofen, den weißblaue Kacheln aus Delft schmückten. In dieser Umgebung fühlte Marietta sich heimisch. Helmbrecht saß bereits auf der Bank. Beim trauten Beisammensein mit Marietta überrascht zu werden, schien ihm nicht die geringste Verlegenheit zu bereiten.
»Schön, Euch auch einmal um diese Zeit hier im Grünen Baum zu sehen, verehrte Magdalena«, grüßte er. »Seit Jahren versuche ich, Euch davon zu überzeugen, ein gemütliches Frühstück nicht zu unterschätzen. Doch überzeugt Euch am besten selbst, wer alles um diese Zeit hier sitzt und den Tag genießt, bevor es später in die Börse geht. Glaubt mir, bis dahin sind schon die meisten Geschäfte besiegelt – nicht zuletzt dank des hervorragenden Imbisses, den die Wirtsleute auftischen, übrigens stets zur vollsten Zufriedenheit beider Seiten. Das kräftige Löbenichter Bier trägt gewiss auch seinen Teil dazu bei. Niemand verlässt den Grünen Baum in Hast oder gar mit schlechter Laune.«
»Mag sein, dass die meisten Kaufleute erst hier einkehren und Geschäfte machen. Aber das heißt noch lange nicht, dass es alle so halten«, erwiderte sie gereizt, weil er ausgerechnet in Mariettas Gegenwart so mit ihr sprach. »Schaut mich an. Wie Ihr wisst, nage ich nicht eben am Hungertuch, seit ich das Kontor meiner Ahnen in der Langgasse führe. Seltsam, da ich in Euren Augen doch so offensichtlich die falsche Strategie verfolge. Um zu handeln, muss ich mich nicht erst mühsam mit Bier und Völlerei in Stimmung bringen. Trotzdem schlägt sich das nicht nachteilig auf den Erfolg meines Kontors nieder.«
»Verzeiht«, ruderte er sogleich zurück. »So habe ich das natürlich nicht gemeint, Verehrteste. Es steht mir nicht an, mich in Eure Art, das Kontor zu führen, einzumischen. Euer Erfolg spricht für sich.«
Seine Bernsteinaugen trübten sich, die Blatternarben röteten sich, die gewaltige Nase bebte vor Erregung.
»Entschuldigt«, sagte sie leise. »Ich habe mich heute nicht so ganz im Griff. Es ist gerade alles etwas viel.«
»Ruht Euch ein wenig bei uns aus«, schlug Marietta vor. Sie hatte bereits einen Platz auf der Ofenbank frei geräumt, ein Kissen besorgt und ihr die Heuke von den Schultern genommen. Dankbar nahm Magdalena das Angebot an. Schon kam die Wirtin und brachte höchstpersönlich das Gedeck, legte Besteck und ein frisches Leinentuch auf dem Tisch zurecht.
»Eine seltene Ehre, liebe Frau Grohnert«, wiederholte sie. »Fast könnte ich meinen, Ihr mögt unser Gasthaus nicht. Dabei seid Ihr damals bei Eurer Ankunft in der Stadt Eurer Väter gleich mit offenen Armen von uns aufgenommen worden. Oder habt Ihr das je anders empfunden?«
Magdalena schluckte den Hinweis auf die kurzweilige Verstimmung während ihres ersten Winters im Kneiphof hinunter. Schroff hatte die Wirtin damals einige Monate lang abgelehnt, sie zu grüßen, nachdem sie in das Haus ihres Onkels umgezogen war. Ähnlich wie Dorothea Gerke hatte auch die Wirtin Hoffnungen gehegt, selbst unter dem Schutze des goldenen Neptuns zu residieren. Magdalenas Auftauchen kurz vor Ablauf der Erbschaftsfrist hatte das vereitelt.
»Danke, meine Beste. Natürlich werde ich Euch das nie vergessen.« Magdalena rang sich ein
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