Das Bernsteinerbe
trommelte Magdalena mit den Fingern auf das Pult. Längst wollte sie unterwegs sein. Als Egloff sie seltsam ansah, beendete sie das Trommeln.
»Tut mir leid, mein Bester. Ihr seht, ich bin heute nicht ganz bei der Sache. Doch diese Order von Apotheker Petersen haben wir längst besprochen. Es ist richtig gewesen, dass er so viel Bernstein haben wollte.«
Unauffällig schweifte ihr Blick durch das Kontor. Der morgendliche Sonnenschein tauchte den langgestreckten Raum in milchiges Licht. Dank des gutbeheizten Kachelofens herrschte eine angenehme Temperatur. Allein bei dem Gedanken, wie eisig es draußen sein mochte, fröstelte Magdalena. Hoffentlich hatte Carlotta sich warm angezogen. Viel zu überstürzt war sie gleich nach dem morgendlichen Imbiss aufgebrochen, um nach dem alten Kepler zu sehen. Seit fast einer Woche versorgte sie den Physicus nun schon. Natürlich trieb sie nicht allein die Sorge um den griesgrämigen Medicus in die Altstädter Schmiedegasse. Magdalena wusste, was die Tochter für den jungen Kepler empfand. Sosehr sie die Keplers ablehnte, hoffte sie doch, Carlotta würde nicht enttäuscht. Kurz dachte Magdalena an Eric, an die stürmische Zeit ihrer ersten Liebe, an die Jahre des bangen Wartens, weil er verschwunden war. Bis zuletzt war sie nicht sicher, den wahren Eric gekannt und geliebt zu haben. Sie sah zu Breysig. Schwerfällig beugte er sich über sein Pult, die Zunge zwischen den Lippen, die Feder verkrampft in der Hand. Laut kratzte sie bei jedem Schwung über das rauhe Papier. Wie anders dagegen gab sich Steutner gleich dahinter. Schreiben und Rechnen bereiteten ihm nicht die geringste Mühe. Dennoch steckte auch er voller Unruhe. Unablässig scharrte er mit den Füßen über den Boden.
Die staubtrockene Luft kitzelte Magdalena in der Nase. Sie musste niesen, einmal, zweimal, ein drittes Mal. Schon meinte sie, es nehme kein Ende. Niesen am Montag bedeutete Glück für den Rest der Woche. Das zumindest pflegte Hedwig zu behaupten. Egloff rang wieder um ihre Aufmerksamkeit.
»Wie?«, fragte sie verwirrt. »Was ist mit den Waren im Speicher? Hat Schrempf sich heute noch nicht gemeldet?«
»Samstagabend war er noch einmal hier und hat gefragt, was mit den Pelzen aus Riga geschehen soll. Sie liegen in einem gesonderten Fass. Angesichts der schwierigen Lage ist es sicher nicht gut, sie weiter dort zu lagern. Nicht auszudenken, wenn es innerhalb der Stadtmauern zu einem Aufeinandertreffen der bürgerlichen Stände und der kurfürstlichen Truppen …«
»Dann wären die Waren hier im Kneiphof genauso wenig sicher wie drüben am Hundegatt. Egloff, hört auf, Euch ständig Sorgen zu machen«, beschwichtigte sie den Schreiber. »Natürlich ist es eine Menge Geld, das in den Waren steckt. Was aber bleibt uns übrig? Ihr erwartet doch nicht im Ernst, dass ich alle Fässer hierherbringen lasse?«
»Besser wäre es wahrscheinlich«, entgegnete er beleidigt.
»Keine Sorge, mein Bester.« Sie lächelte ihn an. »Seit Roth aus der Stadt gebracht wurde, ist das Schlimmste vorbei. Will der Kurfürst wirklich mehr Geld von uns Königsbergern, so wird er den Teufel tun und riskieren, unsere Lagerhäuser zu zerstören. Wenn wir Königsberger Kaufleute keinen Handel mehr treiben, haben wir doch erst recht kein Geld, um ihm ein stehendes Heer zu finanzieren.«
»Wenn Ihr denkt, es wäre so einfach, nun gut. Meine Meinung kennt Ihr.« Egloff schaute an ihr vorbei zur Fensterfront auf die Langgasse hinaus.
Es war offensichtlich, dass er sich die früheren Zeiten mit dem alten Paul Joseph Singeknecht zurückwünschte. Magdalena seufzte. Wie gern würde sie einmal in die Zeit zurückgehen, als ihr Onkel das Kontor geführt hatte und Egloff noch ein junger Lehrling gewesen war. Die Vorstellung entlockte ihr ein Schmunzeln.
»Ja, es ist so einfach, mein Bester«, beendete sie das Gespräch. »Ich werde jetzt zu meiner morgendlichen Runde aufbrechen und sowohl in der Börse als auch im Lagerhaus nach dem Rechten sehen. Mittags bin ich zurück. Bis dahin wird weder Königsberg untergehen, noch der Krieg zwischen dem Kurfürsten und den Ständen ausbrechen, vertraut mir.«
Sie nahm ihre schwarze Heuke und eilte durch das Kontor. Im Vorbeigehen klopfte sie Breysig aufmunternd aufs Pult und warf Steutner einen mahnenden Blick zu. »Bis heute Nachmittag macht Ihr mir bitte die Aufstellung der letzten Woche fertig«, trug sie ihm hastig auf. Damit wollte sie sichergehen, dass er ihre Abwesenheit nicht nutzte, um
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