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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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den Dragonern des Kurfürsten geflüchtet waren.
    »Da bist du endlich, Kind!« Hedwigs warme Hand fasste nach der ihren und zog sie weg von dem Weib. »Überall suche ich dich. Lass uns weitergehen. So gut, wie heute die Preise sind, sollten wir all unsere Vorräte auffüllen.«
    »Was wurde da eben an der Bude des Fettkrämers eigentlich erzählt?«, fragte sie die Wirtschafterin, sobald sie den ärgsten Trubel am Markt hinter sich gelassen hatten und in der Hofgasse wieder nebeneinanderlaufen konnten.
    »Nur das übliche Geschwätz«, winkte Hedwig ab. Doch ihr Blick schweifte ab, das Leuchten aus den runden Augen war verschwunden, auch die rosigen Wangen glänzten nicht mehr. Ihre gute Laune war versiegt. Schon watschelte sie träge wie eine alte Pute über die Gasse. »Plötzlich wollen alle mit eigenen Augen gesehen haben, wie die schwerbewaffneten Reiter den armen Roth gestern aus dem Schloss weggebracht haben. Angeblich soll er nach Kolberg überführt werden. Der Kurfürst denkt wohl, so weit weg vom Kneiphof würde er eher eingestehen, wie falsch sein Ansinnen war, den Ständen von einer weiteren Abgabe abzuraten. Was aber soll Roth ihm überhaupt erzählen? Der gute Schöppenmeister ist aus einem anderen Holz geschnitzt, sonst wäre er nicht im Januar schon auf eigene Faust nach Warschau zu Johann Kasimir gereist. Wenn du mich fragst«, sie schnaubte abfällig, »sind die Kneiphofer inzwischen genauso feige wie die Altstädter und die Löbenichter. Vergiss nicht, wie sie sich vor zwei Wochen ängstlich hinter ihren Öfen verkrochen haben, als die Dragoner den armen Roth aus seinem Haus gezerrt haben. Angeblich, so sagen sie, sei der heftige Sturm schuld gewesen, dass sie sich nicht aus ihren Löchern gewagt und ihn verteidigt haben.« Empört schüttelte sie den Kopf. »Aber dann hätten sie doch gestern, als Roth endgültig aus der Stadt geschleppt wurde, ihren Mut beweisen können. Doch auch da haben sie sich wieder nicht aus ihren Löchern getraut. Und dabei hat kaum ein schlappes Lüftchen den Ausgang erschwert, nicht einmal Schneegestöber hat es tagsüber gegeben. Jetzt behaupten sie, es hätte geheißen, der Kurfürst blase zum erneuten Angriff auf den Kneiphof. Selbst die Krämer haben deshalb gestern ihre Buden auf dem Markt leer stehen lassen und auf das Geschäft eines ganzen Tages verzichtet. Kein Wunder, dass heute alle ausgehungert auf den Markt rennen und noch um die schrumpeligsten Äpfel feilschen, als wären sie rosig frisch. Vor lauter Angst haben sie wohl ihre Vorräte aufgefressen und brauchen dringend Nachschub, um sich die feisten Bäuche wieder zu füllen. Auch die Krämer sind froh, heute selbst die abgelagerte Butter noch für einen halben Pfennig loszuwerden, bevor sie ganz ranzig wird. Ach, was rede ich für einen Unsinn! Vergiss es, Kind, und hör nicht auf mich altes Weib. Ich tratsche schon genauso dämlich wie unser dummes Waschweib von vorhin.«
    Betrübt hielt sie inne. Zunächst meinte Carlotta, das Auftauchen zweier Stadtknechte habe sie zum Schweigen gebracht. Mit grimmiger Miene patrouillierten die beiden langen Kerle durch die Alte Domgasse. Brav machten die Mägde ihnen den Weg frei, steckten anschließend aber wieder tuschelnd die Köpfe zusammen.
    »Bitte, Hedwig, rede weiter«, bettelte Carlotta, sobald die Stadtknechte außer Sichtweite waren. »Mir kannst du alles erzählen. Ich bin doch kein kleines Kind mehr.«
    »Manchmal bedaure ich das.« Hedwig legte den Arm um Carlottas Taille und drückte sie an sich. Ihre hellen Augen leuchteten vor Rührung. »Manchmal denke ich, es ist erst gestern gewesen, dass du mit deinen Eltern in unser Haus in der Frankfurter Fahrgasse eingezogen bist. Wie die Zeit vergeht! Der gute, alte Steinacker ist auch schon mehr als zwölf Jahre tot. Fünf Jahre sind seit dem schrecklichen Überfall auf deinen Vater ins Land gegangen, bei dem dein Onkel Vinzent erstochen wurde. Letztlich ist auch dein Vater an den Folgen dieser furchtbaren Tat gestorben, selbst wenn er seinen Vetter um ein Dreivierteljahr überlebt hat. Bald sind es sogar schon vier Jahre, dass ich dir und deiner Mutter nach Königsberg gefolgt bin. Was ich allerdings wahrlich nicht bedauere, ist, dass deine Tante Adelaide aus unserem Leben verschwunden ist. Wollen wir hoffen, dass sie da, wo sie jetzt ist, endlich ihren Frieden mit sich und der Welt gemacht hat.«
    »Was weißt du von ihr?« Carlotta horchte auf. Seltsam, dass Hedwig ausgerechnet jetzt von Adelaide

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