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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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fortbringen musste. Wie gern wollte sie Genaueres wissen. Zum Weiterlesen der Zeitung, gar zum Kauf eines Exemplars blieb allerdings keine Zeit. Sie musste sich sputen. Schon war der mit einem hellen Tuch bedeckte Kopf der Wirtschafterin von neuem in der Menge untergetaucht. Carlotta stöhnte. Es schien ihr, als steckte sie im Schlamm fest. Kaum kam sie voran. Das Schneegestöber letzte Nacht war weitaus kräftiger ausgefallen als erwartet. Allerorten überzogen Pfützen und Schneereste die Straße. Rasch sog sich das Leder ihrer Schuhe voll Wasser, an den Sohlen klebte der Straßenmatsch. Weil auch das Stroh in den Schuhen feucht geworden war, waren die Zehen bald steif gefroren. Dank der vier opulenten Kürbisse wog der Korb an ihrem Arm zudem unermesslich schwer. Mühsam schleppte sie ihn über den Markt. Wenigstens erspähte sie rasch wieder das lustige Auf und Ab von Hedwigs Kopftuch an einer der nächsten Buden.
    Der Duft von würzigem Käse wies selbst einem Blinden den Weg zu den Fettkrämern. Unter den vielen Leuten erblickte Carlotta sogar einige Männer. Selten verirrten die sich sonst in diese Ecke des Marktes. Andächtig lauschte die Menge einem für Carlotta unsichtbaren Redner, der aufregende Dinge zu erzählen schien. Carlotta musste sich mit einzelnen Satzfetzen wie »Eine ungeheure Brüskierung der Stände«, »Nie sind wir derart übergangen worden«, »Regeln für den Kurfürsten«, »Unterstützung des polnischen Königs« sowie »Lange wird Roth nicht einsitzen« zufriedengeben.
    »He, Mädchen, drängel nicht so!«, herrschte ein Bäckerbursche Carlotta an und versuchte, sich mit einem Korb voll dampfender Wecken an ihr vorbeizuzwängen. Eine winzige, schmutzige Hand schob sich von der Seite heran und stibitzte das obenauf liegende Gebäckstück. »Wer war das?«, brauste der Bäckergeselle auf und wandte sich sofort ab, dem Dieb nachzustürmen. Dabei stieß er mit einem Ratsherrn zusammen. Von dem Aufprall purzelten weitere Wecken aus seinem Korb zu Boden und versanken im Dreck, noch ehe sich der Bursche hatte bücken und sie retten können. »Aus dem Weg!«, befahl eine dunkle Stimme, trat genussvoll mit dem Stiefel auf einen der Wecken und stieß dem Burschen den Ellbogen in die Brust. Gefolgt von zwei weiteren Ratsherren, marschierte der Mann mit hocherhobenem Haupt, undurchdringlicher Miene und wehenden Mantelzipfeln vorbei. »Was soll das?«, schrie der Bursche verzweifelt. »Da klaut mir einer meine dicksten Wecken, und Ihr zertrampelt mir auch noch den Rest!«
    Abrupt drehte der Ratsherr sich um, funkelte böse erst den Bäckerjungen, dann Carlotta an. Wie fest verwurzelt harrte sie neben dem Burschen aus. Der Ratsherr war ihr bestens bekannt. Es handelte sich um Michael Wilde, den Apotheker vom Junkergarten, zu allem Unglück gut mit Heydrich bekannt.
    »Geh mir aus den Augen, du einfältiger Tölpel!«, zischte der Apotheker den Bäckerburschen mit wenig ratsherrlicher Würde an. »Wir Herren vom Rat haben heute wahrlich andere Sorgen als deine dämlichen Wecken.« Damit zertrat er mit hämischer Miene ein zweites Gebäckstück zu klebrigem Brei.
    »Und Ihr, mein wertes Fräulein Grohnert«, wandte er sich an Carlotta, »solltet besser aufpassen, mit wem man Euch auf der Straße sieht. Letztens war es ein Offizier der Kurfürstlichen, heute ist es ein frecher Bäckergeselle. Mein Freund Heydrich wird das nicht gern hören, ganz zu schweigen von dem ehrwürdigen Stadtphysicus Kepler. Langsam wird es eng für Eure Mutter und Euch.«
    Energisch fingerte er nach dem Ende seines dicken Schals und warf es schwungvoll um den Hals, bevor er sich anschickte, den beiden anderen Herren zu folgen. Beunruhigt blickte Carlotta ihm nach. Der Mittwoch war drauf und dran, seinen schlechten Ruf zu beweisen.
    »Keine Sorge, schönes Kind. Den Herren vom Rat wird der Hochmut noch vergehen!«, prophezeite ein buckliges Weib mit einer dicken Warze auf der Wange. »Außer dem braven Roth ist bislang noch keiner mutig für unsere Sache gegen den Kurfürsten eingetreten. Seit mehr als zwei Wochen versauert der gute Schöppenmeister im Verlies, ohne dass die Gecken was für ihn tun. Eine Schande sondergleichen ist das. Mich würde es nicht wundern, wenn sie heute noch beschließen, sich vor dem Kurfürsten in den Dreck zu schmeißen.«
    »Da habt Ihr recht«, erwiderte Carlotta und erinnerte sich daran, wie viele der Herren an jenem besagten Montag, an dem man Roth verhaftet hatte, mit wehenden Mänteln vor

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