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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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durch. Viele Monate war der Vater stets fort gewesen, Jahr für Jahr für lange Zeit regelmäßig unterwegs. Dennoch reichten diese Wochen nicht aus, um auch noch bis ans Ende der Welt vorzudringen. Abgesehen davon, dass er ihnen ganz gewiss davon hätte erzählen wollen. Belustigt erinnerte sie sich an die bunten Glasperlen aus Murano oder die seidenen Schals aus Venedig, mit denen er sie verwöhnt hatte. Wie Trophäen hatte er die stets stolz präsentiert. Beunruhigt sah sie sich noch einmal in Hartungs Wunderkabinett um.
    Sie erschrak. Der Affe im Glasschrank streckte ihr die Zunge heraus! Sie kniff die Augen zusammen, spähte noch einmal genauer dorthin. Nein, sie hatte sich getäuscht. Es war nur der Schatten einer Speerspitze, der diesen Eindruck erweckte. Ebenso hatte sie sich gewiss vorhin getäuscht, als Hartung ihren Vater erwähnte. Mit keiner Silbe hatte der Kaufmann behauptet, der Vater wäre selbst auf Reisen in Afrika oder Westindien gewesen. Er hatte nur gesagt, er hätte ihm viele von diesen wunderlichen Gegenständen mitgebracht. Das war die Erklärung! Schließlich konnte man damit ebenso regen Handel betreiben wie mit Stoffen, Bernstein, Salz, Mikroskopen, Büchern, Gewürzen, Tabak, Kaffee und dergleichen mehr.
    »Einige Eurer Stücke stammen also von meinem Vater«, stellte sie fest. Erschrocken drehten sich Hartung und die Mutter nahezu gleichzeitig zu ihr um. »Soweit ich weiß, ist er vor allem nach Venedig gereist, um Waren zu beschaffen. Hat er Euch dort die ausgefallenen Kuriositäten beschafft?«
    Verlegen wich Hartung ihrem direkten Blick aus. Magdalena dagegen versuchte sich neuerlich in mahnenden Zeichen, die Carlotta geflissentlich überging.
    »Ich frage mich nur«, fuhr sie fort, »wie er das alles quer über den Kontinent gebracht und gleichzeitig immer wieder zur verabredeten Zeit bei uns in Frankfurt gewesen sein soll. Einfach unmöglich.«
    »Oh, verzeiht mir meine Unbedachtheit.« Mit einem Auflachen wandte Hartung sich vom Fenster ab. Das nachlassende Schneegestöber erlaubte wieder den Blick bis zum nahen Domhügel. Trutzig schälte sich die dick ummauerte Anlage am oberen Rand des Blickfelds heraus.
    »Ich glaube, Ihr seid einem großen Missverständnis aufgesessen. Aber das ist allein meine Schuld. Wie konnte ich mich nur so zweideutig ausdrücken? Am Ende denkt Ihr gar, Euer verehrter Gemahl und Vater habe Euch hintergangen. Aber das dürft Ihr nicht! Bitte zweifelt nie an der Aufrichtigkeit Eric Grohnerts! Er war einer der ehrlichsten Menschen, die mir je begegnet sind. Weder war er jemals in Afrika, noch in Westindien oder in sonst einem fernen Winkel der Welt, um die seltenen Dinge hier zu beschaffen. Wie töricht von mir, das so missverständlich darzustellen! Dabei ist alles ganz einfach: Er hat mir viele Stücke in Venedig besorgt und für den Transport zu mir gesorgt. Allein meine Eitelkeit ist schuld, dass er daraus mitunter ein Geheimnis gemacht hat, vielmehr: mir zuliebe machen musste. Meine Eitelkeit hat es eben einfach nicht zugelassen, offen einzugestehen, nicht alle Kuriositäten wirklich selbst von den Wilden im Urwald oder bei den Missionaren in ihren Niederlassungen erworben zu haben. Alle Welt sollte glauben, meine Sammlung sei bis zu dem letzten Stein oder Käfer mit eigenen Händen zusammengetragen. Niemand sollte ahnen, dass ich viele der hier ausgestellten Dinge von einem Markt in Venedig oder gar bei einem Kaufmann in Frankfurt am Main bestellt habe. Euer Vater hat mir über Jahre geholfen, diesen Trug aufrechtzuerhalten. Bitte verzeiht, Verehrteste, ich stehe tief in Eurer Schuld, weil ich das Andenken Eures hochgeschätzten Herrn Gemahls aus so niederträchtigen Beweggründen besudelt habe.«
    Beschämt senkte er die Stimme, richtete sein Augenmerk allein auf seine Schuhspitzen, als wollte er für immer darin eintauchen. Da zerriss plötzlich ein helles Lachen die Stille.
    »Entschuldigt, mein Bester«, wandte Magdalena sich halb vom Fenster ab, wischte mit den Handrücken Tränen aus den Augenwinkeln und sah ihren Gastgeber breit lächelnd an, »aber das ist wirklich eine köstliche Geschichte, wie sie nur von Männern aufgeführt werden kann. Keine Frau der Welt verfiele auf die Idee, sich derart zu verstellen. Wo ist denn auch das Problem? In Eurem ganzen Leben seid Ihr mehr herumgekommen als so mancher, der sich Kaufmann oder gar Seemann nennt, von all den Gelehrten und Bürgern ganz zu schweigen, die stets nur in der Stube hocken und Bücher

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