Das Bernsteinerbe
besitzen, kranke Menschen genesen zu lassen. Schon Eurer Mutter eilte früher der Ruf außergewöhnlicher Fähigkeiten voraus, das scheint sich bei Euch erfolgreich fortzusetzen. Auch von ganz besonderen Tropfen wurde mir berichtet, die Ihr dem Studiosus verordnet habt. Tropfen und Tinkturen sind für Euch beide also von großem Interesse. Lasst mich Euch etwas vorzuführen, was seit einigen Jahren unsere geliebte Stadt nachhaltig bereichert. Es wird Euch gefallen. Allerdings unternehmen wir dazu einen kleinen Spaziergang.«
»Das ist eine hervorragende Idee.« Carlotta bemühte sich um ein begeistertes Lächeln. »Soweit ich sehe, hat der Schneefall nachgelassen. Nach dem aufregenden Vormittag inmitten Eurer Kuriositäten wird uns das guttun.«
Im letzten Moment vermied sie einen Hinweis auf die stickige, staubige Luft und die bedrückende Enge, die ihr in dem vollgestopften Kabinett mehr und mehr zu schaffen machte. Zwar hatte sie es begeistert, das alles sehen zu dürfen, längst aber fühlte sie sich selbst wie ein Schmetterling, aufgespießt und zur Reglosigkeit verdammt inmitten der schönsten Pracht.
9
A uch wenn der Gang durch die eisige Winterluft zunächst guttat, hoffte Magdalena doch, endlich ihr Ziel zu erreichen. Der Weg von Hartungs Haus gegenüber dem Wasserturm hatte gleich nach der Stadtmauer steil bergan geführt. Schnee und Eis auf den Gassen erschwerten das Vorankommen zusätzlich. Kaum jemand begegnete ihnen, nicht einmal streunende Hunde oder Fuhrwerke waren bei dem frostigen Wetter unterwegs. Sie wunderte sich, als Hartung auf dem Hügel den Eingang in die Wehranlage links liegenließ, war sie doch davon ausgegangen, er wollte ihnen dort im Dom oder in einem der benachbarten Domherrenhäuser, in denen Kopernikus gewirkt hatte, etwas zeigen. Ein wenig enttäuscht beschloss Magdalena, auf dem Rückweg zum Dom zu gehen. In dem gewaltigen Hallenbau wusste sie an einem der Seitenaltäre eine Mondsichelmadonna, vor der sich für eine Katholikin wie sie stets zu beten lohnte.
Nach wenigen Schritten, die leicht bergab führten, entdeckte sie schließlich das Hospital auf der rechten Wegseite. Unter alten winterkahlen Kastanien erstreckte sich der weißgetünchte Bau mit seinen Wirtschaftsgebäuden. Nun begriff sie, was Hartung vorhatte: Er wollte ihnen die in den vergangenen Jahren zu großem Ruhm gelangte Apotheke vorführen! Erschöpft und gleichzeitig glücklich über das Ziel, fand sie sich kurz darauf neben Carlotta in der Diele des Hospitals zum Heiligen Geist wieder. Die berühmte Offizin stand nicht jedermann offen. Sie diente ausschließlich der Versorgung des Hospitals und der Domherren.
Hartung musste erst um Einlass bitten, um seine beiden Gäste dorthin bringen zu dürfen. Das dauerte länger als erwartet. Magdalena rieb sich die klammen Finger und trippelte mit den nassen Stiefeln auf der Stelle, um sich aufzuwärmen. Auch Carlotta fröstelte.
Endlich erklangen Hartungs schwere Schritte dumpf auf dem Steinboden. Begleitet wurden sie vom leichtfüßigen Auftreten einer zweiten Person.
»Da wären wir, Verehrteste!«, dröhnte Hartungs Stimme durch den leeren Flur. Neugierig blickte Magdalena ihm entgegen, auch Carlotta drehte sich zögernd um. An der Seite des stämmigen Kaufmanns schälten sich die Umrisse einer dunkel gekleideten, ungewöhnlich groß gewachsenen Frau heraus. Im Gegenlicht war ihr Gesicht zunächst nicht zu sehen. Das aber musste Magdalena gar nicht. Ein spitzer Aufschrei entfuhr ihr.
»Habe ich es doch geahnt!«, murmelte sie und trat zwei Schritte näher heran. Ihr Herz raste, Schwindel erfasste sie. Gleichzeitig fiel eine schwere Last von ihr ab. Damit erklärte sich Helmbrechts absonderliches Verhalten letzte Woche. Dunkel hatte sie es zwar bereits vermutet, nun aber besaß sie endgültig Gewissheit: Adelaides wegen hatte er sie nicht nach Frauenburg reisen lassen wollen! Der Base aus Frankfurt, die seit der verhängnisvollen Nacht kurz vor Thorn vor vier Jahren verschwunden war, hatte Helmbrechts Schwur gegolten. Ein Schauer überlief Magdalena. Adelaide zuliebe hatte Helmbrecht fast den Bruch mit ihr riskiert. Und das leider nicht zum ersten Mal.
Aufgewühlt musterte sie die lange Zeit verschollene Witwe von Vinzent Steinacker, dem Frankfurter Vetter ihres verstorbenen Gemahls. Sie hatte sich kaum verändert. Das tiefschwarze Haar trug sie nach hinten gekämmt, lediglich einzelne Strähnen waren der strengen Zucht entronnen. Zaghaft zeigten sich erste
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