Das Bernsteinerbe
sommersprossenübersäte Hand entgegen. Gerührt ergriff er sie. Es war erstaunlich, dachte Carlotta, wie die Mutter fern von Königsberg aufblühte.
»Etwas ganz Besonderes muss ich Euch noch zeigen«, verkündete Hartung. Hoch aufgerichtet ging er zu einem Nussbaumtresor auf der zweiten Längsseite. Der Schlüssel knarrte im Schloss, während der Kaufmann ihn bedächtig drehte. Als die Tür aufschwang, gab sie den Blick auf Regalfächer mit einer Vielzahl astronomischer Instrumente frei.
»In einem Wunderkabinett in Frauenburg dürfen solche Gerätschaften nicht fehlen, das sind wir allein schon Kopernikus schuldig, der viele Jahre oben auf dem Domhügel gewirkt hat.« Er griff ein Astrolabium heraus und hielt es hoch, damit Carlotta und Magdalena es von allen Seiten bewundern konnten. »Zwar fehlt mir die Gabe, diese Instrumente zu benutzen, doch Euer verehrter Gemahl, liebe Frau Grohnert, hat mich trotz allem dafür begeistern können, sie zu erwerben. Schaut her, sogar mehrere Mikroskope habe ich auf seinen Rat hin gekauft. Man sollte nicht nur wissen, wie es um die Sterne oben am Himmel bestellt ist, hat er mir beigebracht, sondern auch, wie die Dinge auf Erden im Kleinen beschaffen sind. Die ersten habe ich mir aus Venedig kommen lassen. Seit einiger Zeit aber unterhalte ich Kontakte nach Delft. Dort tut sich gerade sehr Interessantes, was die Fortentwicklung der Geräte betrifft. Antoni van Leeuwenhoek heißt der geniale Gelehrte, der daran arbeitet. Nicht zu verwechseln mit Marietta Leuwenhoeck, die als Kauffrau die Geschäfte abwickelt. Die Ähnlichkeit der Namen ist ein seltsamer Zufall. Vielleicht ist sie deshalb so um seinen Erfolg bemüht. Ihr solltet sie kennenlernen. Philipp Helmbrecht hat mich mit ihr bekannt gemacht.«
Die Erwähnung des Namens ließ Carlotta zusammenfahren. Besorgt schaute sie zu Magdalena. Die lächelte weiterhin unverbindlich. Zu gern hätte Carlotta gewusst, ob Marietta Leuwenhoeck die schöne Blonde mit dem fremden Akzent war.
»Helmbrecht wusste mir auch einiges von den jüngsten Ereignissen bei Euch in Königsberg zu berichten. Zum Glück …« Weiter kam er nicht, denn Magdalena fiel ihm ungeduldig ins Wort: »Das klingt so, als wäre Helmbrecht unlängst hier gewesen und hätte Euch gar persönlich davon erzählt.«
»Habe ich Euch noch nichts davon gesagt?« Verwundert sah Hartung sie an. »Seit letzten Samstag weilt er schon hier in Frauenburg. Er wohnt allerdings nicht im selben Gasthaus, in dem Eure Löbenichter Reisegefährten abgestiegen sind. Deshalb hat er wohl noch nichts von Eurem Eintreffen erfahren, sonst wäre er gewiss schon bei mir aufgetaucht. Seit seiner Ankunft kommt er nämlich jeden Tag am frühen Abend vorbei, um nachzufragen, wann mit Euch zu rechnen ist. Seltsamerweise habe ich jedes Mal aufs Neue den Eindruck, er wäre erleichtert, wenn ich ihm noch keine positive Nachricht geben kann. Verzeiht bitte vielmals, aber über all meiner Begeisterung, Euch mein Wunderkabinett vorzuführen, ist mir das mit Helmbrecht völlig entglitten.«
Magdalena erwiderte nichts. Carlotta dagegen hätte dem zerstreuten Kaufmann gern einmal den Kopf zurechtgerückt, doch das stand ihr nicht zu. Helmbrecht in Frauenburg – das bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen.
»Wenn Ihr nichts dagegen habt«, meldete sich ihr Gastgeber nach kurzem Schweigen gut gelaunt zu Wort, »dann warten wir einfach, bis Helmbrecht heute Abend seinen Besuch bei mir abstattet. Ihm eigens eine Nachricht über Eure Ankunft zukommen zu lassen, scheint mir überflüssig. In der Zwischenzeit kann ich Euch die Zeit mit einer weiteren Überraschung vertreiben. Bestimmt wird sie Euch für die entstandene Unbill entschädigen und auf neue Gedanken bringen.«
In Vorfreude auf den gelungenen Streich rieb er sich die Hände.
»Wenn mich nicht alles täuscht«, wandte er sich an Carlotta, »so seid Ihr nicht nur die wahre Tochter Eures Vaters, sondern auch die würdige Nachfolgerin Eurer Mutter, was die Wundarztkunst betrifft.«
Carlotta stutzte, fühlte sich außerstande, dem wirren Wechsel der Themen so schnell zu folgen. Schmunzelnd kam er näher, winkte auch Magdalena heran.
»Nur keine falsche Bescheidenheit, meine Liebe. Mir kam Eure jüngste Heldentat in Brandenburg bereits zu Ohren. Euer Reisegefährte, der tapfere Student aus der Altstadt, hat es wohl allein Eurer Heilkunst zu verdanken, so rasch wieder dem Krankenlager entronnen zu sein. Ihr müsst ein besonderes Geschick
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