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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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sagen.
    Den nahezu quadratischen Raum beherrschten eine Handvoll Schaukästen mit Schmetterlingen sowie raumhohe Glasschränke mit skurrilen Dingen aus aller Herren Länder. Gleich trat Carlotta zu dem ersten Kasten hin und besah sich die seltenen Schmetterlinge. Die aufgespießten Schönheiten bezauberten in einer kaum vorstellbaren Farbenvielfalt. Besonders ein lichtblauer Falter mit einer dünnen, schwarz-weiß gepunkteten Umrandung der Flügel erregte ihre Aufmerksamkeit. Wie würde er leuchten, flöge er der Sonne entgegen! Kaum wagte sie, Luft zu holen, aus Angst, das schleierzarte Geschöpf von seinem angestammten Platz inmitten seiner nicht minder prächtigen Artgenossen hinwegzupusten. Dabei trennte eine Glasscheibe den Schatz sicher von ihrem Atem und anderen Unwägbarkeiten. Ihre weit aufgerissenen blauen Augen wanderten weiter durch den Kasten. Neben dem blauen Wunderwesen verharrte ein rotbraun-schwarz gestreifter Schmetterling mit gespreizten Flügeln geduldig auf seinem Posten. Ebenso schien ein schwarzer mit zwei leuchtend grünen Diagonalen bereit zum Abheben.
    Bei ihrem Anblick wurde Carlotta schmerzlich bewusst, wie grausam die luftigen Falter mit einer Nadel mitten durch ihren Leib aufgespießt waren. Gleichsam lebendig für die Ewigkeit aufbewahrt, erinnerten sie sie an den verlorenen Bernstein. Das Insekt darin war ebenfalls mitten im Leben für alle Zeiten erstarrt. Unwillkürlich legte sie die Hand auf die Brust, wo sich früher einmal der Stein befunden hatte.
    »Sieh nur hier, diese Gemmen!«, begeisterte sich unterdessen Magdalena. Einige Schritte weiter links rollte Siegfried Hartung gerade eine Bahn dunkelroten Samts auf. Der Stoff lag als Schutz über einem weiteren gläsernen Schaukasten, der die obere Schublade eines hüfthohen Tresors bildete. Darin befanden sich verschieden große Gemmen aus den wunderlichsten Achaten, daneben faszinierende Perlmuttschalen und filigrane Elfenbeinschnitzereien.
    »Kaum zu fassen, welche Schätze Ihr Euer Eigen nennt«, lobte die Mutter. »Ihr habt sie wohl über all die Jahre aus der ganzen Welt zusammengetragen. Beneidenswert, wo Ihr überall gewesen sein und was Ihr gesehen haben müsst.«
    Neben dem stämmigen Mann wirkte die zierliche Rothaarige wie ein staunendes Kind. Die smaragdgrünen Augen funkelten vor Freude. Stolz drückte ihr Gastgeber die Brust heraus und wippte auf den Fußspitzen, was ihn noch größer wirken ließ.
    »In der Tat, ich bin viel herumgekommen in meinem Leben«, antwortete er, seltsam berührt von dieser Feststellung. Seine fleckenübersäten Hände fuhren durch das schüttere, weiße Haar. Für einen Moment meinte Carlotta, ein Flackern in seinen Augen zu entdecken. Auf einmal schien er unsicher geworden, gab sich dann aber einen Ruck und erklärte: »Zumindest, was den Erwerb all dieser interessanten Dinge anbetrifft, haben sich die Mühen gelohnt. Seht nur, was sich noch darunter findet.«
    Seine rechte Hand wies in einem weiten Bogen durch den dämmerigen Raum hin zu dem deckenhohen Regal an der rückwärtigen Wand. Glastüren schützten die in den Fächern dicht an dicht liegenden Gegenstände vor Staub und neugierigen Fingern. Dahinter lagerten ohne offensichtliche Ordnung Mineralien, lange Speere, buntbemalte Schilder, Wurfgeschosse, Pfeile, Bogen und Köcher, furchteinflößende Masken. Sogar ausgestopfte Vögel und Skelette von mausartigen Tieren galt es zu bestaunen, bis hin zu einem nahezu vollständigen Skelett einer riesigen Katze. Selbst ein Affe mit gläsernen Augen fehlte nicht.
    Carlotta drehte sich weiter um die eigene Achse. Zwei doppelflügelige Fenster gewährten dem milchigen Dezemberlicht von Südwesten her Einlass in die Wunderkammer. Die vielen Gegenstände in den Schaukästen und Regalen sowie die schweren, dicken Samtvorhänge sorgten für einen muffigen Geruch. Carlotta meinte, nur noch unter großer Anstrengung atmen zu können. Ein riesiger Ofen mit weißblauen Delfter Kacheln sorgte zusätzlich für reichlich Wärme. Erneut trat sie zur Seitenwand. Über den dort aufgereihten hüfthohen Schubladenschränken gab es kaum einen freien Fleck an der Wand, der nicht von Gegenständen oder Bildern bedeckt war. Ein halbes Dutzend farbiger Zeichnungen kündete von exotischen Blumen und Pflanzen aus fernen Gefilden, dazwischen hingen Land- und Seekarten sowie unzählige Zeichnungen von Schmetterlingen.
    »Vor allem Schmetterlinge haben es Euch wohl angetan«, stellte sie fest.
    »An diesen bunten

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