Das Bernsteinerbe
ganz im Bann dieses Hexengolds. Niemals wäre er Euch je so frech entgegengetreten. Davonzurennen hätte er nie und nimmer gewagt. All das ist letztlich dem bösen Zauber der Grohnert-Damen zu verdanken. Damit haben sie Euch endgültig Eures Sohnes beraubt! Ach, welch böses Schicksal für einen guten Vater wie Euch!«
Jäh warf sie die Arme in die Luft, vollführte eine Drehung um sich selbst und sackte im nächsten Moment kraftlos in sich zusammen.
Ludwig Kepler schien das eigenartige Gebaren ungerührt zu verfolgen. Plötzlich griff er sich mit beiden Händen an die Kehle. Das Gesicht verfärbte sich feuerrot, die dicken Adern an den Schläfen schwollen bedrohlich an. Verzweifelt rang er nach Atem, stöhnte, schrie etwas und kippte im nächsten Moment schon um.
»O Gott!« Wie besessen stürzte die Wirtin des Grünen Baums zu ihm hin, bekreuzigte sich. Auch die Gerke-Witwe kroch auf den Knien zu dem Medicus. Lina drückte Milla den kleinen Karl in die Arme und eilte ebenfalls zu dem Bewusstlosen.
»Einen Arzt! Wir brauchen einen Arzt!«, rief Egloff, während Steutner bereits zur Tür hinausstürmte.
14
Z um Mittagsmahl wollte Mathias aufstehen und in den benachbarten Speiseaal hinübergehen. Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf die Bettdecke, mochte kaum abwarten, bis es Zeit war, sich anzukleiden. Carlotta sah seinem Vorhaben mit gemischten Gefühlen entgegen.
»So lange ist es noch nicht her, dass du Meister Hein von der Schüppe gesprungen bist«, erklärte sie. »Seit kurzem erst bist du wieder bei Bewusstsein. Auch wenn du dich fühlst, als könntest du längst wieder Bäume ausreißen, solltest du vorsichtig sein. Schneller, als dir lieb ist, kann es dich von neuem umwerfen.«
Sorgfältig schüttelte sie das Kopfkissen in seinem Nacken auf und drückte ihn zurück gegen die Kissen. Selbst im dämmrigen Licht der engen Kammer wirkte er noch erschreckend blass. Die flache Hand auf seine Stirn gelegt, prüfte sie, ob er weiterhin fieberte, fühlte ihm auch den Puls.
»Behandele mich nicht wie einen tatterigen Greis.«
Entschlossen fasste er nach ihrem Handgelenk und zog sie mit einem Ruck dicht zu sich heran. Sie verlor das Gleichgewicht und kippte vornüber. Als sie auf seiner Brust landete, schlang er die Arme um sie. Verärgert versuchte sie, sich zu wehren, doch Mathias besaß auf einmal ungeahnte Kräfte.
»Lass mich!«
Sie zappelte und zerrte, um sich zu befreien. Vergeblich. Hilflos lag sie quer über seiner Brust und kam ihm so nahe wie seit Jahren nicht mehr. Sie schalt sich ihrer eigenen Unvorsichtigkeit wegen. Nicht zum ersten Mal hatte Mathias sie überlistet und in eine unangenehme Situation gebracht. Wann würde sie gelernt haben, dass ihm nicht zu trauen war? Angewidert schloss sie die Augen. Sein Geruch war noch derselbe wie ehedem in Frankfurt. Es würgte sie. Gleich hatte sie all die schrecklichen Begebenheiten mit ihm wieder im Sinn. Mehrfach hatte er versucht, sie gegen ihren Willen zu verführen. Zaghaft aber brach sich dazwischen noch eine weitere Erinnerung Bahn: die an jenen anderen Mathias, den echten Freund, den sie damals in der Nacht vor Thorn und letztens auch im Kneiphof erlebt hatte. Warum nur gab er dieser Seite seines Charakters keine dauerhafte Chance? Er würde so viel besser damit durchs Leben kommen!
»Du siehst, wie voreilig du mich gewarnt hast.« Sein spöttischer Ton katapultierte sie jäh aus ihren Hirngespinsten in die rauhe Gegenwart zurück. »Dich hat es umgeworfen, mir aber geht es blendend. Oder bist du am Ende aus freien Stücken auf mich vornübergekippt? Ja, so wird es sein! Gib zu, liebste Carlotta, du willst das auch!«
Gierig griff er mit der Linken nach ihrem Busen, mit der Rechten packte er sie am Hinterkopf und zwang ihren Mund auf den seinen. Sie biss die Lippen fest zusammen, entschlossen, ihm keinen Fingerbreit nachzugeben.
»Dann eben nicht!« So abrupt, wie er sie gepackt hatte, stieß er sie wieder von sich. Frech grinste er sie an. »Das wird schon wieder, da bin ich mir sicher. Ich weiß ja, wie du zu kriegen bist, mein Schatz.«
»Du bist widerlich!« Angeekelt wischte sie sich mit dem Ärmel ihres Kleides über den Mund und presste den Rücken gegen die Wand. Doch die Kammer war viel zu eng, um ausreichend großen Abstand zu gewinnen.
»Eigentlich sollte es dich doch von ganzem Herzen freuen, mich wiederhergestellt zu sehen«, fuhr er fort. »Immerhin habe ich meine rasche Genesung dir zu verdanken.«
»Nicht mir
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