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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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erspähte eine Nonne, die so tat, als fegte sie den Boden. »Lass uns woanders hingehen«, schlug er leise vor, legte ihr den Arm um die Schultern und geleitete sie zum Speisesaal.
    15
    D er geräumige Saal, den zwei imposante Kamine an den Stirnseiten beherrschten, lag wie ausgestorben. Von der Fensterfront fiel verschwenderisches Wintersonnenlicht herein. Die unberührte Schneelandschaft vor den Scheiben reflektierte das Licht gleißend hell, als gelte es auch für die Natur, den Festtag der Lichtermagd Lucia üppig zu feiern. Letzten Montag noch hatte es einen Wärmeeinbruch gegeben. Doch schnell hatte der Wind wieder auf Osten gedreht und für neuerliche Kälte gesorgt. Am gestrigen Dienstag hatte es ununterbrochen geschneit. Erst in den frühen Morgenstunden hatte die Sonne die grauen Wolken verdrängt und den Tag der heiligen Lucia standesgemäß mit verschwenderischem Strahlen begrüßt.
    Die langen Tafeln waren bereits für das Mittagsmahl gedeckt, die Nonnen in der Küche verschwunden. Froh, eine Zeitlang ungestört mit Christoph zu sein, trat Carlotta an eines der doppelflügeligen Fenster auf der Längsseite und schaute in die weite Winterlandschaft.
    Die Fenster gingen nach Norden, in die sanfte Ebene hinein. Irgendwo weit hinten am Horizont lag Königsberg. Die Sehnsucht versetzte ihr einen Stich. Sie dachte an Hedwig, Lina und Milla sowie an das Haus in der Langgasse. Seltsam, wie wichtig ihr das alles in den letzten Jahren geworden war! Ob die Mutter und sie jemals wieder in Frieden dort leben konnten? Deutlich stand ihr die Feindseligkeit Farenheids, Heydrichs und der anderen Kneiphofer vor Augen. Die Erinnerung an die gemeinsame Verschwörung gegen den Fürsten im letzten September verblasste darüber. Umso tröstlicher nahm sie Christophs Anwesenheit wahr. Lächelnd drehte sie sich zu ihm um und umarmte ihn.
    »Du weißt ganz bestimmt, was du mir bedeutest? Ich bin froh, dass wenigstens wir beide uns wiederhaben. Wir sollten nie vergessen, einander rechtzeitig beizustehen.«
    »Es tut mir leid«, raunte er ihr ins Ohr. »Du weißt, dass ich das nicht gewollt habe.«
    »Was?« Sie sah ihm ins geliebte Gesicht. Die grauen Augen bewegten sich unruhig. Die weichen Züge seines Antlitzes unterstrichen die Verletzlichkeit, die er in den letzten Wochen so offen an den Tag gelegt hatte. Sanft strich sie mit der Fingerkuppe über die Furche am Kinn, berührte seine Lippen. Spielerisch schnappte er nach dem Finger.
    »Dir muss doch nichts leidtun«, erklärte sie aufgeregt. »Mathias hat ganz allein für sich entschieden, aus den Reihen der kurfürstlichen Dragoner zu fliehen. Dafür kannst du nichts. Und letztlich ist es gut, wie alles gekommen ist: Durch Mathias’ Auftauchen in Königsberg und deine überzogene Reaktion ist uns beiden erst bewusst geworden, was wir wollen: miteinander als Ärzte leben! Das schwebte uns zwar schon lange vor, aber letztlich nicht ernst genug. Erst mussten sich noch die Schatten unserer Vergangenheit lichten und den Blick auf das Künftige freigeben. Auch das hat Mathias ins Rollen gebracht. Nun steht nichts mehr zwischen uns. Wir wissen, warum wir uns füreinander entschieden haben und in Zukunft einander beistehen werden. Es bleibt nur, uns deinem Vater und deiner Familie gegenüber zu erklären. Dazu müssen noch einige andere Dinge richtiggestellt werden.«
    »Und wir sollten deinem Vetter zumindest helfen, sich dem drohenden Galgen zu entziehen«, warf er ein. »Schließlich weißt du, was ihm blüht, wenn seine Kameraden ihn aufgreifen.«
    »Du bist unverbesserlich.« Sie lächelte.
    »Sonst würdest du mich nicht lieben«, ergänzte er und umschlang sie, um sie zu küssen.
    »Genug!«, erklärte sie schließlich. »Es gibt noch viel zu tun. Lass uns in die Apotheke gehen und mit meiner Mutter beraten, wie wir Mathias beistehen und unsere Angelegenheiten in Königsberg klären können.«
    Sie nahm seine Hand. Es blieb ihm keine andere Wahl, als ihr zu folgen. In Höhe der Krankenstube trafen sie auf Adelaide. Sie gab ihnen ein Zeichen, weiterzugehen.
    »Mathias will allein sein«, flüsterte sie ihnen zu. »Ich glaube, das wird ihm guttun.«
    Zu dritt gingen sie zur Apotheke. Das ehrfurchtgebietende Auftreten Adelaides schüchterte die wenigen Nonnen ein, die ihnen begegneten. Selbst die alte Pförtnerin buckelte respektvoll vor der Tante. Keine wagte, sie anzusprechen oder gar nach ihren weiteren Vorhaben zu fragen.
    In dem großen, quadratischen Saal der Offizin am

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