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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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machen, sie wäre die rechtschaffene Erbin des guten Paul Joseph Singeknecht. Ach Gott, der Arme! Selbst viele Jahre nach seinem Tod geht das unsägliche Versteckspiel in der Familie weiter, jagt eine schreckliche Geschichte die nächste.«
    Lina fand ihr Verhalten empörend. Am liebsten hätte sie ihr lauthals widersprochen. Ein Blick zu Hedwig und zu Steutner aber zeigte ihr, dass es besser war, den Mund zu halten.
    »Wie kommt Ihr dazu, derart über die verehrte Frau Grohnert herzuziehen?«
    Laut gellte Egloffs Stimme durch die Diele. Neugierig geworden, schlich auch der behäbige Breysig aus dem Kontor heran und blieb abwartend am Fuß der Treppe stehen. Egloff drehte sich kurz zu ihm um, schaute dann wieder zur Wirtin. Sein dürrer Leib bebte vor Aufregung.
    »Ruft sie doch, damit sie mir Widerpart gibt.« Herausfordernd verschränkte die Wirtin die Arme vor dem Busen und funkelte den Kontoristen an. »Los, worauf wartet Ihr?«
    Abermals sah sie betont ruhig von einem zum anderen. Als sich keiner rührte, lachte sie wieder spöttisch.
    »Was seid ihr nur für elende Duckmäuser! Wie soll das hier weitergehen? Ewig werdet ihr nicht verbergen können, dass eure Patronin nicht da ist. Genauso wenig, wie ihr das Balg hier verstecken und Linas Fehltritt verheimlichen könnt.«
    »Welches Balg?« Erst jetzt entdeckte Egloff das mittlerweile sanft schlummernde Kind auf Hedwigs Armen. Erstaunt riss er die Augen auf. »Wo kommt das her?«
    Mit wenigen Schritten stand er vor der Köchin. Die drehte den Körper zur Seite und legte den Arm schützend über Karls Kopf. Egloff indes wich nicht von ihr. »Ist es Linas Kind? Nun sagt schon!«
    Als die Köchin schwieg, stürzte er zu Lina. Beherzt schob sich Steutner dazwischen und zischte: »Wagt nicht, ihr etwas zu tun!«
    »Das wollen wir doch sehen!«
    Egloff packte Steutner am Kragen. Entsetzt schrie Lina auf, versuchte, den Geliebten zurückzuziehen. Der fühlte sich sogleich in seiner Ehre angegriffen und wehrte Egloffs Griff heftig ab. Wild fuchtelten die beiden Männer mit den Armen, zerrten und zogen einander an den Kleidern, starrten sich böse an. Keiner von ihnen jedoch hob die Hand, den anderen zu schlagen.
    »Ja, es ist mein Sohn«, sagte Lina beherzt. »Steutner aber hat nichts damit zu tun. Er ist nicht der Vater.«
    Beschämt senkte sie für einen Moment den Kopf. Ihr Herz klopfte heftig. Ängstlich suchte sie dann Steutners Blick.
    »Es tut mir leid, dass du das so erfahren musst. Ich hätte es dir noch erzählt, glaub mir!«
    »Schon gut«, raunzte Steutner.
    »Damit ist wohl klar, dass du deine Sachen packen und heute noch aus dem Haus verschwinden musst.« Egloffs Stimme klang in der Stille schneidend.
    »Niemand packt und verschwindet!«
    Entschlossen mischte Hedwig sich ein. Sie drückte der verdutzten Milla das Kind auf den Arm und marschierte geradewegs auf Egloff zu. Die Arme in die Hüften gestemmt, blitzte sie den alten Schreiber wutentbrannt an.
    »Nicht zum ersten Mal erkläre ich Euch, Ihr sollt Euch nicht um meine Angelegenheiten kümmern. Das Haus ist mein Bereich, die beiden Mägde unterstehen mir. Wer hier kommt und geht, entscheide demzufolge ich allein. Und glaubt mir«, sie beugte sich gefährlich nah zu ihm vor, »ich kenne unsere verehrte Frau Grohnert nicht nur länger, sondern auch viel besser als Ihr. Deshalb weiß ich ganz genau, dass sie die Letzte ist, die eine arme Mutter mitsamt ihrem kleinen Kind mitten im Winter aus dem Haus jagt. Erst recht nicht so eine treue Magd wie unsere Lina! Das Schicksal hat ihr übel mitgespielt. Ganz allein steht sie mit dem kleinen Wurm da. Das ist Unglück genug für so eine geplagte Seele. Da müsst Ihr nicht noch kommen und sie vor die Tür weisen, noch dazu vor der ganzen Versammlung hier.«
    »Seid Ihr fertig?«, fragte er leise. Sie nickte. Schnaufend holte er Luft. »Das habt Ihr wunderbar hingekriegt, meine Teuerste. Ihr habt recht: Lina vor allen anderen hier zur Rede zu stellen, ist nicht angemessen. Die verehrte Frau Wirtin«, mit einer schwungvollen Armbewegung wies er auf die besagte Frau nahe der Eingangstür, »hat bestimmt mit großem Vergnügen jedes einzelne Wort gehört. Ich bin sicher, die Vorgänge im Singeknecht’schen Haus während der Abwesenheit der verehrten Patronin liefern nachher im Grünen Baum ein wunderbares Gesprächsthema. Die Herren Zunftgenossen aus dem Kneiphof, der Altstadt und dem Löbenicht werden ganz begierig zur Kenntnis nehmen, wie weit es hier mit uns

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