Das Bernsteinerbe
steckt, will ich von Euch wissen«, wiederholte der kurfürstliche Leibarzt gereizt. »Wenn er sich hier im Hause oder sonst wo auf dem Besitz der Grohnerts aufhält, richtet ihm aus, er soll schleunigst nach Hause kommen!«
Schon machte er Anstalten, zur Haustür zu gehen.
Dieses Gebaren stand offenbar im Widerspruch zu dem, was die Witwe Gerke erwartet hatte. Sie stellte sich ihm in den Weg und rief den anderen zu: »Was ist los mit Euch? Warum steht Ihr alle da wie erstarrt? Habt Ihr nicht gehört, was der ehrwürdige Medicus Kepler von Euch wissen will? Ist sein Sohn hier im Haus? Oder gar drüben im Lager am Hundegatt? Sagt es lieber gleich, bevor wir alles von den Stadtknechten durchsuchen lassen.«
»Was fällt Euch …« Abermals brauste Egloff auf, dieses Mal jedoch war es Steutner, der ihn in die Schranken wies.
»Verehrteste Frau Gerke, hochgeschätzter Doktor Kepler«, unterwürfig verbeugte er sich vor den beiden, »die Stadtknechte braucht Ihr nicht zu rufen. Christoph Kepler ist nicht hier.«
»Ihr lügt!«
Der alte Kepler stampfte mit dem Fuß auf. Seine Stimme dröhnte durch das gesamte Haus. Davon erwachte Karl und weinte los. Hilflos schaute Milla zu Lina. Die nahm ihr rasch das Kind aus dem Arm und beruhigte es an ihrer Brust.
»Warum?« Verständnislos sah Steutner ihn an. »Ihr wisst doch, was vorgefallen ist, als Euer Sohn zuletzt hier im Hause gewesen ist.«
»Das ist es!« Dorothea Gerke reckte die Nase, streckte gleichzeitig den Zeigefinger hoch in die Luft. »Das erklärt so einiges.«
»Ihr sprecht in Rätseln«, merkte der alte Kepler unwirsch an, woraufhin die Witwe ihn an den Armen fasste und leicht schüttelte, als gelte es, ihn wach zu rütteln.
»Der Bernstein, erinnert Euch! Man hat Euch doch erzählt, dass Euer Sohn hier bei den Grohnerts den verwunschenen Bernstein ins Feuer geworfen hat. Das aber war kein gewöhnlicher Bernstein, das war ein verhexter Bernstein – pures Hexengold!«
Sie hielt inne, lauschte verzückt dem Klang des letzten Wortes nach. Leiser fuhr sie fort: »Vor einigen Jahren bereits hat mir jemand davon erzählt. Die Grohnert-Damen sollen sich schon öfter dessen Zauberkraft bedient haben. Auch die Essenz, die Magdalena Grohnert meinem Gatten verabreicht hat, stammt von diesem Hexengold. Es kann nicht anders sein. Wie sonst ist sein grausiger Tod zu erklären?«
Ihr ebenmäßiges Gesicht verwandelte sich in eine schmerzverzerrte Grimasse. Sie presste die Faust zwischen die Lippen, als gelte es, einen schrecklichen Schrei zu unterdrücken. Langsam schritt sie die Reihe der Versammelten in der Diele ab. Reglos standen Egloff, Steutner und Breysig da, einträchtig bemüht, sich nicht von ihrer Darbietung beeindrucken zu lassen. Milla klammerte sich an Hedwig. Die Köchin schnaufte empört. Lina holte Luft, um der grässlichen schwarzen Witwe etwas entgegenzuschleudern. »Wie kommt Ihr …«
Ein Wink Dorothea Gerkes aber genügte, sie verstummen zu lassen. Gebannt starrte sie der Kaufmannswitwe ins Gesicht. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie versuchte nochmals zu reden. Karl gluckste. Es war wie verhext: Sie brachte keinen Ton heraus!
Mit einem siegesgewissen Funkeln in den dunklen Augen sprach Dorothea Gerke weiter: »Der Rauch dieses unsäglichen Gesteins hat euch alle verhext. Allen voran Christoph Kepler selbst. Wie von Sinnen ist er seither. Wie sonst ist zu erklären«, sie wandte sich an den alten Kepler, »dass Euer Sohn plötzlich Dinge getan hat, die er bei klarem Verstand nie und nimmer tun würde? Sich mit einem Kurfürstlichen zu prügeln – vor den Augen aller Bürger dieser Stadt!«
»Das war ein Spektakel«, stimmte die Wirtin des Grünen Baums eifrig zu. »Ich sehe es noch vor mir. Unweit von unserem Haus, direkt vor dem Grünen Tor, sind sie aufeinander los. Die Witwe Gerke hat recht, mein bester Kepler: Euer Sohn war wie verhext, als er auf diesen Dragoner eingedroschen hat. Dabei muss er auch den Kurfürstlichen in Bann gezogen haben. Habt Ihr davon noch nicht gehört? Der Blaurock ist anschließend nicht mehr zu seinem Fähnlein zurückgekehrt. Desertiert soll er sein! Die Schmach, von Eurem Sohn zu Boden gerungen worden zu sein, muss ihm arg zugesetzt haben.«
»Was Ihr nicht sagt!« Dorothea Gerke wirkte auf einmal verstört. Der Zwischenruf der Wirtin hatte sie aus ihrer Rolle gerissen. Sie fasste sich an die Stirn und schüttelte den Kopf.
»Ihr hört es!«, setzte sie mit neugewonnener Kraft an. »Euer Sohn stand
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