Das Bernsteinerbe
allein«, warf sie ein. »Ohne Christoph wäre mir das nicht gelungen.«
»Oh, verzeih, wie konnte ich den studierten Herrn Medicus nur vergessen?« Er tat beschämt. »Seltsam, dass du so viel Wert darauf legst. Ich dachte immer, Wundärztinnen wie deine Mutter und du sind nicht so gut auf die hochnäsigen Herren Doktoren zu sprechen. Allzu gern stellen die doch eure Kenntnisse in Abrede, bezichtigen euch gar der Quacksalberei. Aber nein, ich vergaß: Der gute Christoph behauptet gern selbst von sich, ein einfältiger Jahrmarktdoktor zu sein. In deinem Talent allein sieht er die einzige Möglichkeit, vor der Schande bewahrt zu werden, als Arzt zu scheitern. Ist es nicht so?«
Verschwörerisch grinste er. Jäh wurde ihr klar, dass er schon weitaus länger, als ihr lieb sein konnte, bei Bewusstsein war. Um sie und Christoph zu belauschen, hatte er den Besinnungslosen gespielt. Ihr wurde heiß vor Scham. Sie wollte gar nicht darüber nachdenken, was er alles gehört haben musste. Bis letzten Sonntag wähnten sie ihn vollkommen außer Bewusstsein. Seite an Seite hatte sie mit Christoph in der engen Kammer neben dem Bett gewacht. Sobald klar war, dass sie nicht mehr um sein Leben kämpften, sondern einfach nur auf sein Erwachen warteten, waren sie noch enger zusammengerückt. Wie selbstverständlich hatte Christoph ihre Hand gehalten, sie fest an sich gedrückt, ihr schelmische Neckereien zugeflüstert. Mehr als einmal hatten sie sich gar geküsst und Zärtlichkeiten ausgetauscht. Ihre Ohren glühten. Natürlich hatten sie und Christoph auch über ihre Pläne für eine gemeinsame Zukunft beratschlagt. Jetzt, da endlich klar war, dass sie für immer zusammenbleiben wollten, gab es einiges zu besprechen. Nur in der kleinen Krankenstube in dem Frauenburger Spital konnten sie das ungestört tun. Zumindest hatten sie das geglaubt. Wieder wurde ihr heiß. Um nicht in Mathias’ hämisches Gesicht schauen zu müssen, blickte sie zur Tür.
Vom Gang drangen die üblichen Geräusche herein: eilige Schritte, helle Frauenstimmen, Klappern von Geschirr, Heranschleppen des Feuerholzes für den Kamin im angrenzenden Speisesaal. Es war der Tag der heiligen Lucia. Aus diesem Grund stellten Nonnen in verschiedenen Winkeln des Hospitalgebäudes zusätzliche Talglichter auf. Eine Woche schon hockte Carlotta Tag und Nacht in der schmalen Kammer kurz vor dem Speisesaal. Darüber waren ihr all die Klänge vertraut geworden. Sie fragte sich, wo die festen Schritte Christophs auf dem Steinboden blieben. Vor einer halben Ewigkeit schon war er hinausgegangen. Aus der Spitalapotheke wollte er neue Tropfen für den Patienten holen. Bitter lachte sie auf. Ausgerechnet zur Stärkung von Mathias’ Lebenskraft sollten die dienen. Dabei verfügte er offenbar längst über genügend Kraft, um sie alle in die Tasche zu stecken!
»Keine Sorge«, lenkte er überraschend sanft ein. »Ich werde niemandem etwas verraten. Du kannst dich auf mich verlassen.«
»Wie könnte ich darauf noch etwas geben!« Böse funkelte sie ihn an. »Nie und nimmer werde ich dir jemals wieder über den Weg trauen! Verrat mir allerdings eines.« Eindringlich blickte sie ihm in die nahezu schwarzen Augen. »Woher nimmst du nur all diese Niedertracht? Habe ich dir je etwas Böses getan?«
Stumm sahen sie einander an. Sie spürte seinen warmen Atem auf den Wangen, roch abermals den herben Geruch nach Pferd und Rauch, der ihn selbst Tage nach seiner Flucht aus dem Heer noch umfing. Längst spross ihm der Bart auf Wangen und Kinn. Die harten schwarzen Stoppeln verliehen seinem Antlitz einen bläulichen Schimmer.
»Carlotta, hier habe ich …« Die Tür schwang auf, und Christoph stürmte herein. Mitten im Satz brach er ab und schaute verwundert auf die Szene, die sich ihm darbot: Carlotta und Mathias dicht an dicht mutterseelenallein in der engen Krankenstube. »Oh, verzeiht, ich wusste nicht …«
»Da gibt es nichts zu wissen«, fuhr Carlotta auf und eilte zu ihm. Flink nahm sie ihm die Phiole aus den Händen. »Du weißt, wie Mathias und ich zueinander stehen. Daran hat sich nichts geändert. Ich habe ihm gerade nur etwas den Kopf zurechtgesetzt. Jetzt, da es ihm sichtlich bessergeht, kann er auch wieder bessere Manieren an den Tag legen. Übrigens«, wandte sie sich an Mathias, »dafür, dass Christoph dir das Leben gerettet hat, zeigst du dich reichlich undankbar. Wann besinnst du dich wenigstens auf ein kleines Danke?«
»Also, ich weiß nicht«, setzte Christoph
Weitere Kostenlose Bücher