Das Bernsteinerbe
Bienenstock mitten im Sommer. Wie um dem zu trotzen, schlenderte Magdalena langsam von der Krämerbrücke über das Hafengelände am Pregelufer. Es galt nicht zuletzt, die eigene Unruhe zu zügeln, hatte sie in ihrem Speicherhaus einige Schritte hinter dem Kran doch eine lang ersehnte Fracht in Augenschein zu nehmen. Niemand sollte merken, wie ihr allein beim Gedanken daran die Finger zitterten. Dass die Ladung ausgerechnet an diesem Freitag eingetroffen war, gab ihr zu denken. Doch rasch verdrängte sie Hedwigs Erschrecken: Freitag, der Dreizehnte brachte nach Ansicht der alten Wirtschafterin natürlich kein Glück. Um sie von den düsteren Ahnungen abzulenken, hatte Carlotta ihr belustigt einen anderen der alten Sprüche zum dreizehnten Oktober aufgesagt: »Heiliger Koloman, schick mir einen braven Mann.« Daraufhin war die gute Hedwig erst recht außer sich geraten.
Einige Schritte weiter erspähte Magdalena Martenn Gerke, den weißbärtigen Kaufmannsgenossen aus der Magistergasse. Ordnend fuhr sie mit den kurzen, schmalen Fingern durch das unter der schwarzen Witwenschnebbe brav hochgesteckte rote Haar, raffte den schwarzen Damastrock und eilte zu ihm.
»Grüße Euch, verehrter Gerke. Wie geht es Euch heute?« Forschend glitt der Blick ihrer smaragdgrünen Augen über seine eingefallene Gestalt. Kaum zu glauben, dass er vor wenigen Wochen noch einen prallen Bauch unter dem reichbestickten Wams herausgeschoben hatte. Auch schien er geschrumpft, so dass sie, die trotz ihrer knapp vierzig Jahre kaum größer als eine heranwachsende Fünfzehnjährige war, ihm geradewegs ins blasse Gesicht schauen konnte. »Quälen Euch nach wie vor Leibkrämpfe? Zeigt die Bernsteinessenz keine Wirkung?«
»Doch, doch«, beeilte er sich zu versichern und lächelte scheu. »Seit ich Eure Tropfen nehme, geht es wirklich schon viel besser. Allein, es dauert wohl noch, bis man mir das ansieht. Kein Wunder bei Eurer strikten Anweisung, auf sämtliche Genüsse zu verzichten.«
Seine Stimme war dunkel und klang voll wie eh und je.
»Sofern Ihr sie weiterhin brav befolgt, bin ich zufrieden, mein Lieber. Doch übt Euch weiter in Geduld. Es ist wichtig, die Tropfen einige Wochen lang regelmäßig einzunehmen und weiterhin nur Gerstenbrei und warmes Bier zu den Mahlzeiten zu genießen. Ein Glas verdünnter Rheinwein am Abend kann jedoch nicht schaden.«
Gerkes Wangen gewannen an Farbe. »Ihr helft mir aus größter Pein! Schade zu sehen, meine Liebe, dass Ihr Euch Eurer Berufung als Wundärztin verweigert. So vielen könntet Ihr noch helfen. Schaut mich an. Bin ich nicht der beste Beweis, wie gut Ihr Euch in der Anwendung der richtigen Kur versteht? Wochenlang hat der gute Doktor Lange mich mit seinen Tinkturen gequält. Der ist zwar immerhin Leibarzt des Fürsten Radziwill und war auch Feldarzt bei den Franzosen. Dennoch versteht er sein Metier wohl nicht so gut wie Ihr, Verehrteste. Euch genügt ein Blick, und Ihr wisst sogleich, was meinem armen Körper fehlt. Eure Bernsteinessenz ist ein wahres Wundermittel!«
»Danke für Euer Vertrauen«, wiegelte Magdalena ab. Solche Worte aus seinem Mund zu hören, rührte sie. Mit welchem Misstrauen war er ihr einst bei ihrer Ankunft in Königsberg begegnet! »Ihr wisst, warum ich mich mittlerweile ganz auf das Kontor meiner Ahnen beschränke und allenfalls noch einigen Auserwählten meine Essenzen empfehle. Gerade mit Medicus Kepler und den anderen studierten Doktoren will ich es nicht aufnehmen, geschweige denn, die Richtigkeit der von ihnen veranlassten Maßnahmen in Zweifel ziehen.«
»Ihr wisst aber auch«, fiel er ihr ein wenig ungeduldig ins Wort, »wie gut sich gerade Eure Tochter mit dem jungen Kepler versteht? Kaum ein Tag vergeht, an dem man die beiden nicht zusammen bei Apotheker Heydrich im Laboratorium antrifft oder gemeinsam mit Wundarzt Koese auf Krankenvisite sieht.«
Einen Moment blieb Magdalena die Luft weg. Davon hatte Carlotta ihr nichts erzählt. Sie fühlte einen Stich in der Brust. Ausgerechnet der junge Kepler! Ein alberner Geck war das, stets zu Scherzen aufgelegt. Niemand wusste genau, wie viel er dagegen von seiner Kunst als Medicus verstand. Sie schluckte. Gerke gegenüber durfte sie sich nichts anmerken lassen. Also erklärte sie leichthin: »Danke für Euren Hinweis, mein Bester. Lasst uns also einige Wochen warten. Dann werden wir sehen, ob meine Kur Euch auf Dauer von den Beschwerden erlöst. Wenn es Euch recht ist, komme ich nächste Woche wieder zu Euch und
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