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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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»Erst lasst Ihr mich rufen, weil die lang ersehnte Fracht aus Frankfurt eingetroffen ist, und dann finde ich niemanden hier im Speicher, sie mir auszuhändigen. Ganz abgesehen davon, dass das Lager weit offen steht, all die anderen Waren völlig unbewacht sind. Was denkt Ihr Euch nur dabei? Wo stecken überhaupt unsere Leute?«
    Endlich hatte sie den stämmigen Mittvierziger erreicht. Auf halbem Weg war er ihr entgegengekommen und verbeugte sich. Zerknirscht hob er erst den Kopf, als sie ihn dazu aufforderte.
    »Die Männer sind alle hinten beim Kran«, brummte er. Wie stets vermied er es, den Mund beim Sprechen weit zu öffnen, so dass seine Worte nur schwer verständlich waren. »Ein weiteres Schiff ist aus Danzig eingetroffen. Ich habe sie angewiesen, es bis zum Abend auszuladen. Vor Anbruch der Nacht soll alles sicher im Speicher sein.«
    »Wollt Ihr damit andeuten, für morgen gibt es keine guten Nachrichten? Marschiert der Kurfürst also schon tatsächlich auf Königsberg zu? Die List mit den Särgen hat wohl nicht lange vorgehalten.« Ihre leicht schräg stehenden Augen verengten sich, was ihr etwas Katzenhaftes verlieh.
    Statt einer Antwort grummelte Schrempf Unverständliches in seinen Bart und drehte sich auf dem Absatz um, um zurück zum Eingang zu gehen. Kurz vor der Tür wies er mit der Rechten auf eine schmale Holztreppe, die zur Galerie hinaufführte, wo weitere Waren gelagert wurden. Mit einem Nicken folgte sie ihm zum ersten Treppenabsatz. Dort befand sich eine kniehohe Kiste.
    »Hier steht, was Ihr sucht, Gnädigste.«
    »So nah an der Tür?« Gerade noch rechtzeitig verkniff sie sich einen Tadel. »Wie hätte ich sie hier ohne Eure Hilfe je finden sollen? Nie und nimmer hätte ich sie hier vorn vermutet.« Es missfiel ihr, die fragile Fracht so nachlässig aufbewahrt zu sehen. Jeder hätte sie unbemerkt fortschaffen können, erst recht, wenn Schrempf und seine Leute schon seit geraumer Zeit mit einer weiteren Schiffsladung den Kai aufwärts beschäftigt waren. Gründlich überprüfte sie das gute Stück von allen Seiten. Ihre kurzen, schlanken Finger fuhren über das grobgehobelte Holz. Wie es schien, hatte die Kiste von der langen Reise nicht den geringsten Kratzer davongetragen.
    »Was hat es damit eigentlich auf sich?« Gegen seine Gewohnheit wurde Schrempf neugierig. »Der Kapitän hat mir eigens aufgetragen, die Kiste nicht zu den übrigen Säcken und Truhen zu stellen und Euch gleich über das Eintreffen zu benachrichtigen. Der Inhalt ist Euch wohl sehr wichtig.«
    »So ist es«, bestätigte Magdalena. »Deshalb werde ich sie auch erst zu Hause in aller Ruhe öffnen. Lasst sie bitte schnellstmöglich ins Kontor bringen.«
    »Ein wenig müsst Ihr Euch gedulden. Die Männer sind, wie gesagt, alle mit der Ladung aus Danzig beschäftigt.« Er zog die buschigen Augenbrauen hoch, sie behielt ihn fest im Blick. »Gut«, lenkte er ein. »Ich gehe selbst zum Kran und hole Mattes. Er soll sofort mit Euch in die Langgasse fahren. Was ist denn so Geheimnisvolles darin, wenn ich fragen darf?«
    Über sein Seemannsgesicht huschte erneut ein Funken Neugier. Magdalena schmunzelte. Sonst erlaubte sich der breitschultrige Mann mit dem krausen Backenbart nicht das geringste Interesse an den Dingen, die er Tag für Tag von den Koggen in die riesigen Fachwerkspeicher schleppen und dort einsortieren ließ. Ob es um Felle aus dem russischen Norden oder um duftende Gewürze aus dem warmen Süden ging, er behandelte alles gleich. Nicht einmal eine Ladung besonders reinen, edelsten Bernsteins aus Palmnicken entlockte ihm ein Lächeln.
    »Entschuldigung, es geht mich nichts an«, ruderte er zurück, als sie ihn mit der Antwort warten ließ.
    »Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen«, beschwichtigte sie. »In der Kiste befinden sich Mikroskope. Ich habe sie mir aus Frankfurt kommen lassen.«
    »Aus Frankfurt? Ihr meint aus Eurer alten Heimatstadt am Main?«
    »Ja. Ein dortiger Apotheker bezieht sie aus Venedig und hat mir nicht zum ersten Mal welche besorgt.«
    Wehmut erfüllte sie. Verschämt wischte sie sich die Augenwinkel und strich eine rote Locke aus dem schmalen Gesicht.
    »Ein sehr umständlicher Weg.« Schrempf schüttelte den Kopf. »Natürlich ist es Eure Entscheidung, woher Ihr Eure Waren bezieht. Aber es gibt ausgezeichnete Mikroskope aus Holland. In Delft soll es einen gelehrten Tuchhändler geben, der sich sehr gut darauf versteht. Der Weg liegt viel näher. Ihr wisst um die Beziehungen so mancher

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