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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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zu haben, da antwortete sie lapidar »ein Junge« und bückte sich hastig nach dem Eimer mit dem Lappen. Schnaufend hob sie ihn hoch. Carlotta wollte sich ihr in den Weg stellen, doch Lina stieß sie brüsk beiseite. »Karlchen heißt er, hat blaue Augen und eine Stupsnase und sogar schon ein paar Locken, natürlich blond wie meine. Zufrieden?«
    Ihre Miene verriet nicht das Geringste. Die Lippen fest aufeinandergepresst, schleppte sie den schweren Eimer dicht an Carlotta vorbei zum mittleren Fenster. Der Riegel knirschte, als sie an ihm drehte, um die Flügel zu öffnen.
    »Was ist eigentlich aus deinem Burschen geworden? Ist er wieder aufgetaucht?«
    Nun war es an Carlotta, zusammenzuzucken. An Mathias wollte sie nicht erinnert werden, von Lina schon gar nicht – und vor allem nicht jetzt. Auf einmal drohte die Erinnerung zu einer großen, dunklen Wolke zu werden, die das sonnige Zusammensein mit Christoph überschattete. Fieberhaft suchte sie nach Worten, als könnte sie mit einer passenden Erwiderung die ungewollte Störung verdrängen.
    Unerbittlich fuhr Lina fort: »Ich habe dir damals schon gesagt: Bei dir ist es nicht so schlimm. Du bist auf keinen Burschen angewiesen, um aus dem Elend rauszukommen. Notfalls nimmst du das Geld deiner Mutter und fängst damit irgendwo ein Leben ganz nach deinen eigenen Vorstellungen an. Dabei hast du das gar nicht nötig. Ihr beide lebt doch sowieso sorgenfrei, von Elend und Not weit und breit keine Spur.«
    »Also«, setzte Carlotta an, doch wieder kam Lina ihr zuvor. »Entschuldigung«, murmelte sie zerknirscht. Schon knickste sie unbeholfen und wirkte zahm wie ein Lamm. »Ich weiß auch nicht, welcher Gaul da gerade mit mir durchgegangen ist. Ich habe wohl einfach vergessen, wie es inzwischen steht: Ihr seid die Herrschaft, ich bin die Magd. Ich sollte nicht so vorlaut sein.«
    Angestrengt starrte sie auf ihre Fußspitzen. Carlotta bekam nicht viel mehr als das wirre, blonde Haar zu sehen. Die ungewohnte Perspektive behagte ihr noch weniger als Linas forsches Auftreten zuvor.
    »Schon gut«, beeilte sie sich zu versichern. Eine ganze Weile kämpfte sie noch mit sich, dann streckte sie Lina entschlossen die Hand entgegen. »Lass uns beim Du bleiben. Nach allem, was wir uns damals am Pregelufer erzählt und miteinander im Grünen Baum erlebt haben, werden wir nie wie Herrschaft und Gesinde zueinander stehen.« Sie rang sich ein aufmunterndes Lächeln ab. Daraufhin wischte Lina die Hand an der Schürze trocken und schlug vorsichtig ein. »Wie du willst.«
    Linas Händedruck war fest, die Haut kalt und rauh. Carlotta versuchte abermals, ihr in die Augen zu schauen. Wieder aber gelang es Lina, sich zu entziehen und ins Polieren der Fensterscheiben zu flüchten. Zögernd wandte Carlotta sich dem Tisch zu, auf dem noch immer die sorgfältig aufgereihten Tiegel mit Salben warteten.
    Lustlos blätterte sie das vor ihr liegende Buch auf, überflog die Seiten, auf denen ihre Mutter in ungelenker Schrift uralte Rezepturen notiert hatte, und kam endlich zu der Auflistung der Mengen an Salben und Tinkturen. Während sie ein Gefäß nach dem anderen öffnete und den Bestand kontrollierte, hörte sie Linas Keuchen beim Wienern der Scheiben. Der saure Geruch der Zitrone überlagerte den zarten Duft der Salben. So angestrengt Carlotta auch schnupperte, Veilchen, Salbei und Rosen konnten sich kaum mehr dagegen durchsetzen. Carlotta seufzte. Beim Beschnuppern der berühmten Wundersalbe von Meister Johann hielt sie inne. Der Geruch war ihr seit Jahren vertraut. Seit den Zeiten bei Apotheker Petersen in Frankfurt versuchte sie, dem Geheimnis der Mischung auf die Spur zu kommen.
    Noch während sie darüber nachsann, ob sie letztens doch zu großzügig Wacholder daruntergemischt hatte, wurde ihr plötzlich etwas anderes klar. Den offenen Tiegel in der Hand, starrte sie einige Atemzüge lang auf die gegenüberliegende Wand. Unter einem goldgerahmten Porträt von Urgroßvater Paul Joseph Singeknecht, dem Begründer des Handelskontors, stand eine hüfthohe Truhe aus dunklem Holz. Die kunstvollen Einlegearbeiten auf dem riesigen Möbel verrieten den beträchtlichen Wert des Stücks. Prall gefüllt mit feiner Tischwäsche, war sie ein weiteres Zeichen des Vermögens, über das die Mutter dank ihres Erbes verfügte. Carlotta schmunzelte. So falsch lag Lina nicht, was sie und ihre Mutter betraf. Es konnte kein Zufall sein, sich ausgerechnet jetzt dessen bewusst zu werden.
    »Weißt du was, Lina?«,

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