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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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erforschen und das Herz in all seinen Aufgaben kennenlernen, so wie du es mir letztens erklärt hast. Vielleicht könnte ich so herausfinden, wie eins mit dem anderen arbeitet, sowohl bei Gesunden als auch bei Kranken. Doch das werde ich wohl niemals tun dürfen.«
    Erwartungsvoll hielt sie inne. Als er schwieg, wurde sie noch deutlicher. »Abgesehen vom Widerstand meiner Mutter, die das niemals zulassen würde: Ich bin nur eine Frau, Tochter von Kaufleuten außerdem. Schon an die medizinischen Lehrwerke zu kommen, ist für mich nicht einfach, vom Hören einer medizinischen Vorlesung ganz zu schweigen. Dabei gibt es an der Albertina einige der besten Gelehrten ihres Fachs. So nah und doch unerreichbar für mich.«
    Gedankenverloren spielte sie mit dem honiggelben Stein an ihrem Hals. Hexengold hatte ihre seit Jahren verschollene Tante Adelaide ihn einmal genannt. Fast wünschte sich Carlotta in diesem Moment, sie hätte damit richtiggelegen. Besäße der Bernstein tatsächlich Hexenkräfte, könnte er ihr helfen, ihren sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. »Wenn ich doch nur studieren oder wenigstens am Wissen eines Studierten teilhaben dürfte! Besser helfen will ich können, wenn jemand krank ist, nie mehr hilflos danebenstehen, wenn einer stirbt, so wie es bei meinem Vater gewesen ist.«
    Die aufsteigenden Tränen brachten sie zum Verstummen. Wie im Krampf hielten die Finger den Bernstein umklammert. Sie fürchtete, zu weit gegangen zu sein und Christoph brüskiert zu haben. Angestrengt betrachtete sie ihre Fußspitzen. Der Straßenstaub malte seltsame Muster auf das Leder. Sie hatte das Gefühl, der Bernstein zwischen ihren Fingern glühte.
    »Meine kleine Wundärztin.« Zärtlich fasste Christoph unter ihr Kinn, hob es an, lächelte. »Vielleicht sollten wir einfach tauschen? Schließlich gäbest du den besseren Leibarzt für den Kurfürsten als ich. Du wärst im Übrigen nicht einmal die erste Frau in einer solchen Position. Schon Kaiser Maximilian hat vor fast hundert Jahren eine Ärztin an sein Sterbebett gerufen.«
    »Die ihn allerdings nicht mehr heilen konnte«, ergänzte Carlotta leise.
    »Zumindest aber sein Leiden viel erträglicher machte«, widersprach Christoph. »Du hast also von ihr gehört?«
    »Natürlich. Meine Mutter hat mir viel von Agatha Streicher aus Ulm erzählt.«
    »Das hätte ich mir denken können. Deine lebenskluge Mutter weiß über so vieles Bescheid, wovon mein studierter Vater nicht einmal im Traum etwas ahnt. Schade, dass sie sich ihre besonderen Wundarztkünste selbst versagt. Doch sei es, wie es sei. Mir liegt die Medizin nicht sonderlich, weder in der studierten Form noch im praktischen Umgang mit Kranken. Ersteres ist mir an den Universitäten klargeworden, als ich versucht habe, das, was uns die gelehrten Herren Professoren in ihren Vorlesungen erklärt haben, zu begreifen. Letzteres sehe ich nun Tag für Tag, wie gerade am Krankenbett unseres verehrten Freundes Pantzer. Ich kann eben nichts Besonderes. Nicht einmal so erhabene Herren wie unseren hochverehrten Kurfürsten Friedrich Wilhelm könnte ich pflegen. Dabei zwickt den höchstens mal nach zu viel Fleischgenuss der Leib. Schon jetzt graut mir vor dem Tag, an dem mein Vater seine Stelle an mich abtreten wird. Ich falle eben ganz aus der Reihe meiner ruhmreichen Vorfahren. Schließlich war schon mein Großvater ein gefeierter, kaiserlicher Mathematicus. Ich aber werde eher als Quacksalber auf den armseligsten Jahrmärkten enden, als dass ich mich am Vorlesepult der ehrwürdigen Albertina zum Narren mache. Daran würden zwar die Studenten ihr Vergnügen finden, aber die Herren Professoren und der Kurfürst gewiss nicht, von meinem armen Vater ganz zu schweigen.«
    »So haben wir eben beide unser Päcklein am Familienerbe zu tragen.« Scheu legte sie ihre kleine Hand auf die seine. »Meine Mutter sieht mich als Erbin des Bernsteinkontors, ganz in der Tradition ihrer Familie. Das liegt mir so wenig wie dir die Medizin.«
    Abermals spielte sie mit dem Bernstein. In der Sonne glänzte er golden, verwandelte das darin eingeschlossene sechsbeinige Insekt in ein Fabelwesen. »Versteh mich nicht falsch, Christoph. Das, was meine Ahnen, seien es die mütterlichen Singeknechts oder die väterlichen Grohnerts, mit ihrem Handel erreicht haben, ist nichts im Vergleich zu den Leistungen deiner gelehrten Vorfahren. Allein dein Großvater Johannes gilt als einer der besten Mathematiker und Astronomen. Auch deinem Vater, dem ehrwürdigen

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