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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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neckenden Tons ernst fest und griff nach seinen Händen. Sie fühlten sich feucht an. Unsicher flatterten seine Lider.
    »Lass uns das nicht auf der Straße besprechen.« Seine Stimme schien jede Überlegenheit verloren zu haben. »Dies ist beileibe nicht der rechte Ort, dir meine Pläne vorzustellen.«
    »Oh«, war alles, was sie darauf zu erwidern wagte, und sie folgte ihm klopfenden Herzens zum Haus seines Vaters.
    17
    W eit war Carlotta noch nicht gekommen. Von dem verschwenderisch milden Sonnenschein der letzten Wochen war an diesem frühen Montagmorgen nichts mehr zu spüren. Stattdessen schlug ihr ein eisiger Ostwind entgegen. Es war, als bewiese der Himmel damit seinen Missmut über ihr Vorhaben. Carlotta seufzte. Es bedurfte nicht viel Vorstellungskraft, sich auszumalen, wie auch ihre Mutter es nicht guthieß, sollte sie davon erfahren. Doch sie hatte sie in letzter Zeit schon genug gegen sich aufgebracht, da kam es darauf nicht mehr an. Sie musste es tun. Sie hatte mit Christoph besprochen, gemeinsam mit ihm an diesem Montag den alten Kepler aufzusuchen.
    Um die beißende Kälte nicht auf dem Gesicht zu spüren, zog sie den Kopf zwischen die Schultern. Ihr schmächtiger Leib zitterte vor Anstrengung, die Finger, die den wollenen Umhang auf der flachen Brust zusammenhielten, waren schon nach wenigen Schritten steif gefroren. Graue Wolkenberge türmten sich am Himmel, strichen bedrohlich tief über die Giebel der Kaufmannshäuser in der Brotbänkenstraße hinweg. Seit dem ersten Hahnenschrei hatte der Tag nicht sonderlich an Helligkeit gewonnen, dabei war es nicht mehr lang bis zum Mittagsläuten. Die Straße war menschenleer, nicht einmal ein einsamer Hund oder eine lahme Katze kreuzte ihren Weg. Auf den sonst so belebten Straßen des Kneiphofs herrschte eine geisterhafte Stimmung. Selbst die üppig verzierten Ziegelsteinfassaden der Kaufmannshäuser wirkten grau und trist, die mythischen Figuren auf den Dachgiebeln schauten verlassen in die Tiefe.
    Als Carlotta den Kneiphofer Markt erreichte, lag auch der wie ausgestorben. Die Verkaufsbuden waren mit Brettern verrammelt, die Krämer verschwunden. Kein einziges buckliges Kräuterweib kauerte in einer Ecke, um seine wohlriechenden Herbstbüschel anzupreisen. Dichte Wolken bunten Laubs wirbelten stattdessen über den Platz, vermischt mit den ersten Schneeflocken, die zögernd vom Himmel rieselten. Der Wind frischte auf, fegte alsbald in heftigen Böen durch den Kneiphof. Die Versuchung, auf dem Absatz kehrtzumachen und sich hinter dem warmen heimischen Kachelofen zu verkriechen, wuchs. Schon zögerte Carlotta, den nächsten Schritt zu setzen, da trat aus dem Schatten einer der Buden eine schlanke Gestalt in langem Umhang auf den Platz. Zum Ausweichen war es zu spät, artig musste sie grüßen.
    Ein Schielen unter die breite, vom Wind arg gebeutelte Hutkrempe war überflüssig. Steutners anzügliches Grinsen war unverkennbar. Ebenso verriet ihn das schlaksige Gehabe seiner hochaufgeschossenen Gestalt, noch bevor er mit den Stiefeln über das Pflaster scharrte und sich vor ihr verbeugte. Eine Wolke Laub wirbelte von seiner Hutkrempe aufs Pflaster herunter. Er grinste noch breiter, behielt aber den Hut stur auf dem Kopf und entschuldigte sich nicht für seine Ungeschicklichkeit.
    »Warum seid Ihr nicht im Kontor? Habt Ihr nichts zu tun?«
    »Dasselbe könnte ich Euch fragen«, erwiderte er gelassen. »Falls Ihr es noch nicht bemerkt habt: Ihr lauft in die falsche Richtung. So werdet Ihr lange brauchen, wieder zu Hause einzutreffen. Besser, Ihr kommt gleich mit mir. Dann seid Ihr sicher, ins Kontor zurückzufinden, und habt auch den heftigen Wind im Rücken. Es sei denn, Ihr habt ein anderes Ziel vor Augen und wollt gar nicht zurück.«
    »Das geht Euch nichts an.« Energisch schlang sie den Schal um den Hals, steckte die Hände in die Taschen und wollte sich an ihm vorbeidrängen. Er aber verstellte ihr den Weg.
    »Passt auf, wohin Ihr heute geht.« Eindringlich sah er sie an. Zum ersten Mal wurde sie gewahr, wie hellhäutig sein bartloses Gesicht war. Die goldbraunen Augen passten nicht dazu, ebenso wenig das dunkle, lockige Haar, das ihm bis zum Kinn reichte. Aus seinem Blick schien mit einem Mal echte Besorgnis zu sprechen. »Heute ist kein guter Tag für einen Spaziergang durch den Kneiphof.« Er nahm seine Hand wieder von ihrem Arm, rückte den Hut auf dem Kopf zurecht. »Passt gut auf Euch auf.«
    Eine Windböe fegte von hinten heran und wehte ihm den Hut

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