Das Bernsteinerbe
Stadtphysicus, kann niemand aus meiner Familie das Wasser reichen. Dennoch tragen wir beide schwer an der Bürde unserer Ahnen. Keiner von uns darf sein Leben so leben, wie er will.«
»Vielleicht sollten wir es deshalb gemeinsam zu tragen versuchen.« Christophs Stimme wurde weich. Er legte den Arm um ihre Schultern.
»Es käme auf den Versuch an.« Ihr Herz raste. Beglückt schmiegte sie sich gegen seinen weichen Samtrock.
So erreichten sie die Altstädter Langgasse, die sich wie die Löbenichter von Ost nach West quer durch die gesamte Stadt zog. In diesem Teil der Dreistädtestadt am Pregel begegneten sie wieder mehr bekannten Gesichtern. Christoph grüßte nach allen Seiten, nahm den Arm allerdings nicht von ihren Schultern, wie um der gesamten Stadt zu bekunden, dass sie beide fortan zusammengehörten. Carlotta verspürte nicht die geringste Lust, sich dagegen zu wehren. Sie schloss die Augen, lehnte den Kopf sacht an seinen kräftigen Arm und genoss den herben Geruch nach Tabak und Kaffee, der von ihm ausging. Kurz huschte die vage Erinnerung an Mathias durch ihren Kopf. Gleich war sie sicher, sich getäuscht zu haben. Der Offizier letztens im Schlosshof musste ein Fremder gewesen sein. Mathias’ Bild verblasste, versank in den Tiefen der Vergangenheit.
»Kommst du mit?« Abrupt blieb Christoph an der Ecke zur Schmiedegasse stehen. Ein Kräuterweib kauerte auf dem Boden und witterte bei ihrem Anblick ein gutes Geschäft. »Blümchen fürs Liebmägdelein fein«, krächzte sie aus einem zahnlosen Mund und streckte ihnen ein halbverwelktes Sträußlein dunkelroter Astern entgegen. Erschrocken wich Carlotta zurück. Die Alte hatte nur ein Auge in ihrem ledrigen Echsengesicht. Schwarz klaffte die dunkle Höhle des zweiten, der Narbenwulst darüber war schlecht verheilt.
»Wohin?«, fragte Carlotta und drängte tiefer in die Gasse, fort von der furchtbaren Alten.
»Was hast du auf einmal?«
»Es ist dieses Kräuterweib«, raunte sie ihm zu. »Vergiss es. Ich weiß selbst nicht, warum mich ihr Anblick derart erschüttert. Doch zurück zu deiner Frage: War das vorhin eine Einladung in euer ehrwürdiges Haus? Was würde dein hochverehrter Herr Vater dazu sagen? Er mag weder meine Mutter noch mich. Es wird ihn kaum freuen, mir in seinen vier Wänden zu begegnen.«
»Das darfst du nicht falsch verstehen. Er ist einfach ein alter Griesgram. Doch ich kann dich beruhigen. Heute ist er gar nicht da. Komm einfach mit, ich will dir etwas zeigen, was dein Herz erfreuen wird.«
»Wir beide allein, im Haus deines Vaters?« Sie zog die Augenbrauen hoch. Trotz oder vielleicht gerade wegen Christophs schelmischen Blicks wurde ihr unheimlich.
»Oh, verzeih, meine Teuerste. Natürlich sind wir nicht gänzlich allein. Das Gesinde geht hoffentlich seinen Aufgaben nach, ebenso wird meine Frau Mutter mit meiner Schwester zugegen sein. Lediglich zum Laboratorium meines Vaters haben sie keinen Zutritt, und genau dorthin möchte ich dich einladen. Allerdings kannst du beruhigt sein. Auch dort wird deiner Tugend nichts geschehen. Schließlich ist mir der Ort heilig.«
Wieder zuckten seine Mundwinkel. Er pustete eine aschblonde Strähne aus der schweißglänzenden Stirn. »Seit einigen Tagen ist mein Vater stolzer Besitzer der neuesten Schrift von Athanasius Kircher. Du weißt schon, der gelehrte Jesuit, der einige Jahre als Mathematiker Nachfolger meines Großvaters beim Kaiser in Wien gewesen ist. Sein Name wird dir nicht unbekannt sein. Schließlich hat er vor wenigen Jahren ein Buch über seine Beobachtung winziger Lebewesen unter dem Mikroskop geschrieben. Er glaubt, diese wären die Ursache für bestimmte Krankheiten. Als mein Vater mir gestern erzählt hat, er habe dieses Buch endlich erhalten, wusste ich sofort, dass ich es dir zeigen muss.«
»Habt ihr denn auch das richtige Mikroskop, um Kirchers Beobachtungen nachzuvollziehen?«
»Oh, da spricht doch wieder die Kaufmannstochter aus dir.« Der Schalk blitzte aus seinen grauen Augen. »Du witterst eine Gelegenheit, uns die von deiner Mutter empfohlenen venezianischen anzupreisen. Leider muss ich dich enttäuschen. Schließlich besitzt mein Vater seit einigen Jahren schon eines aus der niederländischen Produktion. Kein Wunder, immerhin gilt mein hochgelehrter Großvater als einer der Wegbereiter von Fernrohren und ähnlichen Geräten. Das Interesse liegt in unserer Familie.«
»Und doch ist das nicht alles, was du mir zeigen willst, oder?«, stellte sie trotz seines
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