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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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kühnen Figuren auf den Stufengiebeln. Dennoch strahlten sie eine Heimeligkeit aus, die Carlotta in vollen Zügen genoss. Der Malzgeruch, der allerorten über den Steingebäuden hing, erinnerte sie an die Sonntage, an denen sie mit der Mutter durch die Löbenichter Langgasse zum Sackheim spazierte, wo sich die einzige katholische Kirche der drei Königsberger Städte befand. Wehmut erfasste sie beim Gedanken an diese gemeinsamen Kirchenbesuche, die sie nach wie vor pflegten. Ob Lina wirklich recht behalten und Magdalena ihren Widerstand gegen ihre Liebe mit Christoph aufgeben würde? Carlotta biss sich auf die Lippen, kämpfte tapfer gegen aufsteigende Tränen an. Eins stand fest: Sie konnte nicht anders, sie musste bei Christoph bleiben! Kühn hakte sie sich bei ihm ein. Zu ihrer Freude ließ er sie gewähren, und sie schob sich noch ein Stück näher heran.
    »Erzähl mir von deinen weiteren Plänen, Liebster. Es ist gewiss nicht einfach, sich nach den aufregenden Jahren in der Fremde wieder in den eintönigen Alltag zu Hause einzufinden. Schwierig wird wohl auch die Zusammenarbeit mit deinem Vater – und das in einem Beruf, der dir nicht sonderlich erstrebenswert erscheint.«
    »Dich scheint es nicht so schnell zurück in den Kneiphof zu ziehen, was?«, fragte er zurück, statt auf ihre Worte einzugehen. Der vertraute Schalk schien in ihn zurückzukehren. Übermütig tippte er mit der Fingerkuppe an ihre linke Wange. »Herrlich! Ich liebe es, wenn dieses Grübchen in deinem Gesicht auftaucht. Schließlich verrät das mehr über dich, als du ahnst.«
    »Und was?« Sein Lachen wärmte ihr die Seele. »Muss ich mir Gedanken machen?«
    »Keine Sorge, nichts Schlimmes. Nur eben, dass du jetzt gerade lieber mit mir zusammen bist statt mit den Schreibern im Kontor. Das ist Labsal für meine arme Seele. Schließlich bedeutet jede freie Minute mit dir für mich das Paradies auf Erden. Trotzdem mache ich mir Gedanken, meine Liebste.« Er verlangsamte seine Schritte. »Mir scheint, du fühlst dich im Kontor zwischen Haupt-, Schuld- und Zinsbuch nicht mehr sonderlich wohl. Dabei erfordert die doppelte Buchführung höchste Aufmerksamkeit. Jede Spalte muss mit einer anderen gegengerechnet werden, jede Summe mit einer anderen übereinstimmen, wenn man den Lehren des ehrwürdigen Nürnberger Wolfgang Schweicker folgt. Deine Mutter wird seine Schrift über das zweifache Buchhalten gewiss ordentlich befolgen, so gründlich und erfolgreich, wie sie arbeitet.«
    »Dass du das weißt … Hast du den Schweicker etwa auch studiert?« Bei der Erinnerung an die langweilige Schrift verdrehte sie die Augen. »Wenn ich dich so reden höre, könnte ich glatt denken, das Kaufmännische wäre dein ureigenes Metier und du würdest tagaus, tagein nichts anderes tun, als dich mit Zahlen herumzuschlagen.«
    »Vielleicht läge mir das mehr als die Medizin?« Nachdenklich zupfte er sich am Ohrläppchen. »In jedem Fall geht mir dein untrügliches Gespür für die Kranken ab. Im Vergleich zu dir scheint mir jedes Geschick zu fehlen, sie zu heilen.«
    »Wie kommst du denn darauf?«
    »Jeden Medicus, der dich bei einem Patienten erlebt hat, muss dieses Gefühl beschleichen. Es ist nicht zu übersehen, wie beruhigend allein schon deine Gegenwart auf die Kranken wirkt. Ganz abgesehen davon, wie du mit ihnen sprichst und mit welcher Hingabe du sie untersuchst. Dabei genügt dir meist der erste Blick, um zu wissen, was ihnen fehlt. Legst du ihnen die Hand auf, werden sie sofort ruhig und gelassen.«
    »Ich liebe es einfach, als Wundärztin zu arbeiten.« Die Freude über das unerwartete Lob ausgerechnet nach dem missglückten Besuch bei Pantzer durchströmte sie und ließ sie vor Stolz platzen.
    »Wenn ich das doch auch von mir behaupten könnte.«
    »Du bist kein Wundarzt, sondern Physicus. Das ist etwas völlig anderes. Weißt du eigentlich, welche Vorteile du dank deines Studiums genießt? Ach, was gäbe ich darum, so wie du die Medizin studieren zu dürfen!« Träumerisch glitt ihr Blick in die Ferne. »Sosehr ich es liebe, als Wundärztin den Menschen zu helfen, so gern würde ich noch viel mehr tun. Es ist mir einfach zu wenig, Wunden zu nähen, Knochenbrüche zu schienen, Zähne zu ziehen oder gelegentlich einer Hebamme beizustehen, wenn ein Kind quer im Leib der Mutter liegt. Viel lieber würde ich mich darüber hinaus noch den wirklichen Ursachen der Krankheiten zuwenden, die Zusammenhänge des menschlichen Körpers begreifen, den Blutkreislauf

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