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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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fürchten wie du.« Trotz aller Mühe gelang es ihr nicht, seinen scherzhaften Ton zu treffen. »Immerhin eilt ihnen mittlerweile der Ruf echter Tapferkeit voraus. Nachdem sie letztens auf unsere List mit den leeren Särgen hereingefallen sind, sollen sie hart an sich gearbeitet haben.« Sie wurde ernst. »Ach, Christoph, lassen wir das mit den Narreteien. Mir ist gar nicht danach zumute. Heute wird es zu Verletzten kommen. Vorhin habe ich selbst gesehen, wie ein halbes Dutzend Dragoner in den Kneiphof geritten ist, dicht gefolgt von einem Rüstwagen. Der Kurfürst ist sich seiner Sache wohl sehr sicher. Er wird Roth zur Festung bringen lassen. Das kann nur böses Blut geben.«
    »Es wird schon nicht zum Äußersten kommen.« Christoph grinste immer noch, was Carlotta zunehmend aufbrachte.
    »Wie kannst du nur so blind sein! Du hast doch gerade selbst gesagt, die preußischen Truppen haben sämtliche Wege aus dem Kneiphof gesperrt. Das heißt, der Kurfürst sagt der Bürgerschaft offen den Kampf an. Nachdem die Altstädter und die Löbenichter Räte letzte Woche eingeknickt sind, sind die Kneiphofer ganz auf sich gestellt. Sie haben keine Chance. So schwer bewaffnet, wie die Dragoner sind, spießen sie die Leute wie lästige Fliegen auf, sobald sie sie drüben am Dom in die Enge getrieben haben. Hoffentlich können wir beide wenigstens einige vor dem Verderben retten.«
    »Achtung!«, brüllte es laut, und wieder donnerten Hufschläge über das Pflaster. Schreie gellten durch die Gasse. In der Enge der Schuhgasse war es unmöglich, beiseitezuspringen. Auf dem glatten Pflaster purzelten die Ersten übereinander und rafften sich sogleich wieder auf, um weiterzustolpern. Einer schlug hin, ein anderer fiel bäuchlings über ihn. Es blieb ihnen keine Gelegenheit, sich in Sicherheit zu bringen. Zu schnell galoppierten die Reiter heran. Das erste Pferd scheute, das zweite wollte steigen, da rammten die Dragoner ihren Rössern die Sporen in die Flanken und jagten sie rücksichtslos über die auf dem Boden liegenden Leiber hinweg. Schrille Schmerzensschreie ertönten. Im selben Moment fegte der heftige Sturm abermals heran und übertönte die Klagelaute mit wütendem Geheul. Eine Wolke dichten Schnees nebelte alle ein.
    »Sind die wahnsinnig geworden?« Carlotta stürzte los. »Christoph, komm! Sie brauchen unsere Hilfe.«
    Erschrocken blieben die anderen Menschen stehen und schauten voller Entsetzen auf die beiden Leiber hinunter. »O Gott, sie sind tot!«, raunten die Ersten und machten Carlotta Platz.
    Sie war nur noch drei Schritte entfernt, da setzte sich der zuoberst Liegende auf, rieb sich den blutenden Schädel und sah verwirrt um sich. Auch der Zweite richtete sich langsam auf. Aus einer Wunde auf der Stirn rann ihm Blut den platten Nasenrücken entlang, dunkle Flecken zeugten von dem harten Sturz auf die Straße. Gegeneinander gestützt, erhoben sie sich, schwankten, blickten noch einmal ungläubig in die Runde und wankten davon.
    »He, lasst mich doch wenigstens sehen, ob ihr nicht doch …« Carlotta rannte ihnen ein Stück nach.
    »Lass sie«, sagte einer der Männer, die nicht weniger verstört als sie den eben noch Schwerverletzten hinterherblickten. »Wer weiß, warum sie sich nicht helfen lassen. An einem Tag wie diesem ist alles möglich.« Hastig machte auch er sich davon. Die Übrigen brauchten etwas länger, sich von dem Schreck zu erholen, drängten dann aber ebenfalls fort.
    »Komm endlich!« Christoph zog sie am Ärmel. »Du siehst doch selbst, wie wenig du hier ausrichten kannst. Dahinten bei Roth aber werden wir ganz sicher gebraucht.«
    Erst als sie einem weiteren vierspännigen Rüstwagen ausweichen mussten, der wie der erste viel zu schnell und hoch beladen durch die engen Gassen zum Honigtor hinüberrollte, wurde ihr bewusst, dass sie nichts bei sich hatte, um Verletzte zu behandeln. »Lass mich erst noch meine Wundarzttasche holen!«, rief sie Christoph zu. »Ohne Instrumente und Salben kann ich den Verletzten nicht beistehen.«
    »Was willst du mit Wundarztkiste und Salben? Wer sagt denn, dass es Verletzte geben wird?« Christoph schaute fragend auf sie herunter. Seine grauen Augen glänzten. In den langen Wimpern hingen einige Schneekristalle, ebenso bedeckte eine zarte Schicht Weiß das aschblonde Haar, das unter der Hutkrempe herausgerutscht war. »Denk nur an letzten Mittwoch, drüben im Schlosshof. Dort hat sich gezeigt, dass die Königsberger genau wissen, was sie derzeit zu tun haben.

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