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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Schließlich ist kein Stein gegen Friedrich Wilhelm geflogen, keiner der Altstädter oder Löbenichter hat auch nur vor Wut die Faust geballt. Weil sie wussten, wie aussichtslos es gewesen wäre, sind sie lieber gleich auf die Knie gesunken und haben sich widerstandslos ihrem Herrn unterworfen. Glaub mir, Liebste, hier im Kneiphof wird es ähnlich ablaufen. Die kurfürstlichen Soldaten werden Roth aus seinem Haus holen und in die Festung bringen. Mehr wird nicht geschehen.«
    »Nein, du irrst. Heute liegt eine ganz andere Stimmung in der Luft. Du hast die Dragoner eben doch auch gesehen. Bis unters Kinn sind sie bewaffnet und reiten jeden nieder, der sich ihnen in den Weg stellt. Die kennen kein Pardon.« Fassungslos starrte Carlotta ihn an. »Außerdem hast du eben selbst gesagt, wir beide werden bei Roths Haus gebraucht.«
    »Aber doch nicht unbedingt als Ärzte! Einfach da zu sein und die Menge der Anwesenden mit unserer Gegenwart zu stärken, ist auch schon eine Haltung.«
    »Glaubst du im Ernst, Christoph, die Kneiphofer schauen tatenlos zu, wie sie einen der ihren aus der Stadt hinauszerren?«
    »Womit rechnest du?« Er wischte sich den Schnee von der Nase. »Etwa damit, dass es einen erbitterten Kampf geben wird, Mann gegen Mann? Mit welchen Waffen sollen die Kneiphofer den führen? Mit Kontorbüchern und Bernsteinen? Oder mit den Fellen, die sie den Russen für viel zu wenig Geld abgeschwatzt haben? Schließlich besitzt keiner von ihnen eine Muskete, geschweige denn einen Säbel oder eine Pike.«
    Wieder umspielte Lachen seinen Mund. Die fleischigen Lippen wölbten sich vor. Nur zu gern erinnerte sie sich an die Küsse, die sie zu geben wussten. Unwillkürlich schlang sie den Schal fester vor die Kinnpartie, senkte den Blick. Das deutete Christoph falsch. Mitleidig sah er sie an.
    »Wie lange lebst du mittlerweile hier am Pregel? Vier Jahre werden es schon sein, wenn ich mich recht erinnere. Und doch machst du dir noch immer völlig falsche Vorstellungen, was den Mut der hiesigen Bürgerschaft anbetrifft. Der Monate währende Widerstand der Räte gegen den Kurfürsten im Landtag hat dich wohl arg getäuscht. Auch, dass die Bürger einige Nächte lang Ronde gegangen sind, hat die Sache in einem falschen Licht erscheinen lassen. Schließlich sind sie nicht von ungefähr bald der Nachtwachen überdrüssig geworden. Was die Tapferkeit anbetrifft, hast du einfach zu lang im kaiserlichen Heerestross gelebt und bist auch durch die Erfahrungen im Nordischen Krieg auf falsche Gedanken gekommen. Lass es dir von einem Einheimischen gesagt sein: Wir Königsberger mögen scharf denken und eine noch schärfere Zunge führen, gar jedem erst einmal frech die Stirn bieten. Das aber währt nur, solange die Auseinandersetzungen allein mit Worten geführt werden. Scharf schießen tun wir ganz bestimmt nicht, komme da, was wolle. Um uns aus allen Kämpfen herauszukaufen, verkriechen wir uns lieber gleich hinter unsere Stehpulte im Kontor und verdienen rasch unser Geld mit neuen Geschäften. Das wetzt die Zahlungen an unsere Feinde viel schneller aus als sämtliche Kämpfe, die mit Waffengewalt zu führen sind und nichts als herbe Verluste nach sich ziehen.«
    Carlotta schluckte, schaute durch den sanften Schleier aus Schneeregen geradewegs in sein Antlitz. Reglos hielt er ihrem Blick stand. Da war kein Hohn, kein Spott mehr in seinen Augen. Eine Zeitlang verharrten sie schweigend voreinander. Erst eine neuerliche Böe, die heftig an ihren Umhängen zerrte, weckte sie aus der Starre. Wieder folgte eine Wolke dichten Schnees, der alsbald wieder schmolz, kaum dass er das Pflaster bedeckt hatte.
    »Vielleicht ist das die klügere Art, Kriege zu führen«, sagte sie leise. »Wollen wir hoffen, dass du recht behältst und niemand meine Hilfe als Wundärztin benötigt.«
    Damit wandte sie sich um, ohne sich zu vergewissern, ob Christoph ihr folgte, und überquerte den weitläufigen Platz südlich des Doms. Nach wenigen Schritten schon wusste sie Christoph schützend an ihrer Seite auf dem Weg zu Roths Haus.
    18
    M artenn Gerke wand sich in entsetzlichen Krämpfen in seinem Bett. Weiß traten die Knöchel an den Fingergelenken seiner Hände hervor, so fest umklammerte er die Knie, die er eng vor den ehemals rundlichen, nun erschreckend eingefallenen Leib gezogen hatte. Klägliches Wimmern begleitete sein Gebaren. Gelegentlich schwoll es zu Schreien an. Das verlieh dem Ganzen etwas Gespenstisches.
    Ein süßlicher, nicht unangenehmer

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