Das Bernsteinzimmer
gerade den ruhigen Hafen verlassen hatten. Das Meer nahm sie freundlich auf, es war kaum Wellengang, aber Adele genügte es vollauf. Wachter brachte sie zurück zur Kajüte, legte sie aufs Bett, stellte einen Eimer neben sie, legte ein feuchtes Tuch auf ihre Stirn und stieg wieder an Deck. Der Kapitän stand neben dem Steuermann am riesigen Ruderrad und kam auf ihn zu.
»Eure Frau legt sich hin? Sie ist schon seekrank?«
»Das Kind macht ihr zu schaffen.«
»Und Ihr spürt nichts?«
»Nein, es ist doch eine ruhige Fahrt.«
»Warten wir's ab, bis wir weiter nach Norden kommen. Da gibt es einige Stellen, wo man vom Wind das Pfeifen lernen kann.«
Es sollte viel schlimmer werden. Am dritten Seetag fiel ein Unwetter über sie herein, das Schiffchen tanzte auf den Wellenkämmen, wurde hin und her geworfen wie ein Ball, gewaltige Wellen brachen über Deck, schäumende und brüllende Wassermassen fegten alles weg, was nicht festgezurrt war. Die Segel waren gerefft, nur ein Sturmsegel knatterte im Sturm, und dort hingen ein paar Matrosen an umgebundenen Seilen, die in starken Eisenösen verknotet waren. Wurden sie abgelöst, schwankten sie in ihre Kajüte, als seien ihnen die Knochen zerschlagen worden. Sie griffen nach der Rumflasche und tranken, als käme aus ihr das neue Leben. Und kalt wurde es, immer kälter, als sie die Kurische Nehrung entlangsegelten … der Wind aus dem Osten, aus Rußland herüber, stieß wie mit Fäusten nach ihnen.
»Ein unwirtliches Land ist es, in das ihr kommt«, sagte der Kapitän am letzten Tag der Fahrt. An seinem Tisch saßen sie, aßen eine Suppe aus eingesalzenen Bohnen, dunkles Brot, geräucherte Leberwurst und in Essig eingelegte Gurken. Adele, tapfer wie sie immer war, saß bei ihnen, mit leerem, ausgebrochenem Magen und ekelte sich vor jeder Speise.
»Kein Land kann so schlimm sein wie ein Schiff«, sagte sie stockend, und es würgte sie wieder beim Anblick des gedeckten Tisches. »Nie wieder werde ich ein Schiff betreten. Das sei geschworen.«
Und dann tauchte an der Küste Memel auf, das schöne stolze Memel mit seinen Türmen und Kirchen. Im Hafen drängten sich die Schiffe, an den Kais standen die Fuhrwerke mit Waren, die aus den Schiffen gebracht oder auf ihnen verladen wurden, und stolz, wie es sich für ein vom preußischen König gemietetes Schiff gebührte, fuhr die Wilhelmine II. zu ihrem Landeplatz.
Man hatte sie erwartet. Ein Kommando von sechs Reitern, befehligt von einem Wachtmeister, stand am Kai, und als das Schiff anlegte, ertönte ein Trompetensignal zur Begrüßung. Was und wer auch immer da anlegte – es kam aus Berlin, vom König.
Schon eine Stunde später stand Wachter vor dem preußischen Festungskommandanten von Memel, dem General Charles de Brion, und wurde etwas steif empfangen.
»Nun ist Er endlich da!« sagte der General wenig höflich. »Die Sondermission des Zaren ist längst nach Petersburg zurückgekehrt. Ein Kurier wird sofort an die Grenze abgeschickt. Was hat Er für eine Order?«
Wachter überreichte das Schriftstück, General de Brion las es aufmerksam durch und sah dann Wachter erstaunt an.
»Er hat Generalvollmacht?« sagte er, ein wenig freundlicher. »Was soll ich Ihm zur Verfügung stellen? Was braucht Er?«
»In schnellster Zeit Wagen und Leute.«
»Er wird alles bekommen.«
Zwei Tage dauerte es, bis man die Kisten vom Schiff geholt und wieder auf schwere Wagen umgeladen hatte. Bei ihrer Ankunft in Memel, das die Litauer Klaipeda nannten, war es der 30. April 1717 gewesen, nun, am 2. Mai, saß Wachter wieder auf einem Pferd, hatten Adele, Julius und Moritz wieder eine Kutsche, und die Kolonne wartete auf das Zeichen zum Aufbruch. Die Kisten waren äußerlich unversehrt, wie es drinnen aussah, wußte man nicht. Was hatte der Sturm auf dem Meer zerstört? In Petersburg würde man es sehen und dann den Kopf senken.
»Also, begeben wir uns nach Rußland!« sagte Wachter zu dem Führer des Begleitkommandos. »Die kurländische Grenze ist nicht mehr weit. Wie sind die Straßen?«
»Wie sollen sie sein?« Der Wachtmeister der Reiter hob die Schultern. »Je weiter nach Osten, desto unpassierbarer wird es. Und dann, so sagt man, das weite russische Land ist wie bei der Erschaffung der Welt.«
»Wir werden es schaffen.« Wachter richtete sich im Sattel auf. »Wenn der Zar bei seinen Reisen das Land verläßt, werden wir auch ankommen können.«
Er ritt wieder an die Spitze der Kolonne, hob die Hand und gab den Weg frei. Nach
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