Das Bernsteinzimmer
gesagt. Ich habe es geschworen, Delchen … und wenn ich mit der Zunge die Bernsteinwände säubern müßte, ich täte es, denn ich bin bei ihm.«
Zum erstenmal stand Wachter dem Zaren so nah gegenüber, von Angesicht zu Angesicht, daß er die Warze auf dessen Backe sehen konnte wie auch das plötzlich aufflammende Zucken der Gesichtsmuskeln, die Veränderungen der Augen, während der Zar sprach, die Ungeduld in seinen Fingern und das Atmen des breiten Brustkorbes in dieser riesenhaften, von Kraft strotzenden Gestalt. Ein wenig bleich sah Peter I. aus. In Amsterdam hatte ihn eine schwere Grippe mit Nieren- und Blasenschmerzen der heftigsten Art aufs Lager geworfen, dann war er in Bad Pyrmont zu einer Kur gewesen, aber die Nachwirkungen der Krankheit hatte sein massiger Körper noch nicht überwunden. Hinzu kam die Sorge um seinen Sohn, den Zarewitsch Alexej Petrowitsch, der aus Angst vor seinem herrischen Vater nach Österreich geflüchtet war und in Wien versteckt lebte.
Alexej. Wenn der Zar an ihn dachte, kam Trauer über ihn oder schäumende Wut, die jedesmal schreckliche Anfälle auslöste. Schwach war der Zarewitsch, ein Säufer und Hurer zudem, der seine Frau Charlotte von Wolfenbüttel nur zwangsweise, um einen Thronerben zu zeugen, im Schlafgemach besucht hatte, sonst aber mit Mätressen sich vergnügte, vor allem mit Weibern niedrigen Standes, mit leibeigenen Mägden, die sich glücklich schätzten, dem dürren, schwärmerisch veranlagten Zarewitsch zu Willen zu sein. Als Charlotte bei der Geburt des Thronerben Peter Alexejewitsch nach neuntägigem Leiden am 22. Oktober 1715 starb, verließen den Zarewitsch alle Hemmungen. Er soff wie ein Irrer, ruinierte seine Gesundheit und wurde zu einem Thronfolger, dem kein Thron mehr gebührte. Die Briefe seines Vaters beantwortete er mit sklavischer Untertänigkeit, aber als Peter I. ein Ultimatum verfaßte, das ihm alle Ausschweifungen verbot im Hinblick auf seine spätere Zarenwürde, flüchtete er nach Wien. Von dort trafen laufend böse Nachrichten ein … von einer Verschwörung war die Rede, sogar von einer Ermordung des Zaren, die der Sohn offen begrüßte. Er lebte zusammen mit einem Mädchen, Afrosinja, einer drallen, fast häßlichen Bauernmagd, aber von einer solchen Lüsternheit, daß sich der Zarewitsch ein Leben ohne Afrosinja nicht mehr vorstellen konnte.
Das alles hatte sich in das Gesicht des Zaren eingegraben … Wachter erschrak, als er Peter I. gegenüberstand und zu dem Riesen hochblickte.
»Ich habe den Brief Seines Königs gelesen«, sagte der Zar mit erstaunlich gütiger Stimme. »Nicht nur das Bernsteinkabinett schenkt er mir, sondern auch Ihn! Samt Frau und Kindern. Er soll bis zu seinem Tode das Bernsteinzimmer pflegen, und später seine Erben von Generation zu Generation. Nun wohl … der Wunsch des Königs von Preußen soll erfüllt werden. Er bleibe also bei mir, erhalte eine Wohnung im Beamtenhaus und bekomme guten Lohn und freies Logis, einen Karren mit zwei Pferden, einen Schlitten und den Titel eines kaiserlichen Hausmeisters. Ist Er damit zufrieden?«
»Mir schlägt das Herz, Majestät.« Wachter verneigte sich tief. »Möge diese große Güte immer anhalten.«
»Es liegt nur an Ihm. Solange Er das Bernsteinzimmer vorzüglich pflegt, gibt es keinen Grund, Ihn das spanische Rohr spüren zu lassen. Er heißt Friedrich Theodor Wachter?«
»Ja, Majestät.«
»Er und Seine Nachkommen werden immer in Rußland leben. Einen russischen Namen muß er haben, keinen preußischen. Ich mache Ihn zum Russen, also heißt er ab sofort Fjodor Fjodorowitsch Wachterowskij. Seine Frau heißt?«
»Adele, Majestät.«
»Adele Iwanowna – Sein Sohn?«
»Julius …«
»Heißt Julian Fjodorowitsch. Geb Er mir die Hand und schwöre Er, ein guter Russe zu sein.«
Zögernd reichte Wachter dem Zaren seine Hand. Zu widersprechen wagte er nicht, konnte nicht sagen, daß er ein Preuße war und es bleiben würde. Er sah den spanischen Stock, die berüchtigte Dubina, in der Zimmerecke stehen und hatte kein Verlangen, sie auf seinem Rücken oder über seinem Kopf zu spüren. Er zuckte heftig zusammen, als der Zar ihm die Hand drückte, so fest, daß er einen Augenblick das Gefühl hatte, man habe ihm alle Finger zerbrochen. Der Zar beobachtete Wachters Gesicht, erkannte die beherrschte Miene und war zufrieden.
»Schwör Er mir unbedingte Treue, Fjodor Fjodorowitsch.«
»Ich schwöre es, Majestät, mit meinem Leben.«
»Jederzeit kann Er zu mir kommen,
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