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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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es sein, obgleich er in der Rangfolge der neue Zar hätte sein müssen, sondern Katharina, die Witwe. Sie garantierte, daß man auch weiterhin der Günstling am Hofe blieb.
    In der Nacht zum 28. Januar begann der Atem des Zaren schwerer und röchelnd zu werden. Speichel floß aus seinem Mund, unter der grünen Nachthaube war sein Gesicht zu einer schrecklichen Grimasse verzerrt. Der ganze Körper zuckte, aber er wehrte sich, der Zar, der Riese, der Bär. Sein Wille bäumte sich auf, er kämpfte und kämpfte gegen den unbesiegbaren Feind, der Beichtvater Feofan Prokopowitsch schlug das Kreuz und sagte: »Ich hoffe, Gott wird dir alle Sünden vergeben, wegen des Guten, das du für dein Volk zu tun bemüht warst …« Und Katharina betete und weinte, während Menschikow, Buturlin und Apraxin die neue Thronerklärung für Katharina I. die Zarin, ausarbeiteten.
    Am 28. Januar 1725 bäumte sich Peter I. auf, seufzte tief und fiel dann in die Kissen zurück. Sein verzerrtes Gesicht entspannte sich.
    Der Zar war tot … in der sechsten Morgenstunde.
    Katharina fiel vor dem Bett auf die Knie, hob die betenden Hände hoch empor und rief so laut, daß es der Himmel hören mußte:
    »O Herr, ich bitte dich, öffne dein Paradies, um diese große Seele bei dir aufzunehmen!«
    Nicht nur ein Zar, ein Zeitalter war gestorben.
    Menschikow verließ das Zimmer, um den Tod des Unsterblichen den Wartenden zu verkünden.
    Er ging an Wachter vorbei, der draußen vor der Tür stand, wo er seit drei Tagen gestanden hatte, wartend, daß der Zar noch einmal die Kraft erhielt, ihn zu rufen. Auf einem Samtkissen lag der kleine Engelskopf aus Bernstein. Er hielt das Kissen in den Händen, als läge die Krone Rußlands darauf.
    Der Zar ist tot. Es lebe die Zarin Katharina I.!
    Mein Gott, was wird nach mir aus Rußland werden –

III. TEIL

KÖNIGSBERG 1945

    DIE PERSONEN:

Michael Wachter
Verwalter des Bernsteinzimmers
Dr. Wilhelm Findling
Museumsdirektor
Martha
seine Frau
Erich Koch
Gauleiter von Ostpreußen
Peter Hasselmann
Stabsgefreiter Lkw-Fahrer der Wehrmacht
Josef Selch
Unteroffizier Lkw-Fahrer der Wehrmacht
Jana Petrowna Rogowskaja
Dr. Jörg Pankratz
Stabsarzt in Königsberg
Frieda Wilhelmi
Oberschwester
Hans Leyser
Hauptmann
Sylvie Aarenlund
schwedische Studentin
Bruno Wellenschlag
Gauhauptamtsleiter
u.a.

Der 10. Januar 1945 war ein trüber, von Nebelschwaden verhangener Wintertag. Der Schneefall hatte aufgehört, der scharfe, eisige Ostwind war zur Ruhe gekommen und hatte Ostpreußen, Königsberg und das Frische Haff in eine eisstarrende bizarre Landschaft verwandelt. Auf den Landstraßen nach Westen, nach Elbing , Allenstein , Ortelsburg und Danzig zogen die ersten Trecks von Flüchtlingen zwischen von der Front kommenden und zur Front fahrenden Militärkolonnen in eine unbekannte Zukunft. Nur weg von hier, wohin, das war gleichgültig, nur weg in Sicherheit, ins Überleben, weg von der Vernichtung. Auf Leiterwagen und Handkarren hatte man verladen, was ihnen das Wichtigste war: Bettzeug und Decken, Töpfe und Geschirr, Stühle und Tische, die Standuhr des Großvaters oder ein Teppich, Säcke mit Kohl und Kartoffeln, Holzscheite und Briketts, den alten Herd und Wäsche, Kleidung, Schuhe, das Nötigste, was man zum Leben braucht oder woran das Herz besonders hing. Und zwischen Kisten und Säcken, Möbeln und Kleinkram hockten die Menschen, eingemummt in Decken, Schals um den Kopf gegen die Kälte, hohläugig, hungernd und doch voll Hoffnung, den sicheren Westen Deutschlands zu erreichen. Frauen und Kinder, Greise und Säuglinge. Wer kein Fuhrwerk besaß und kein Pferd mehr, ging zu Fuß, schlang sich um den Körper die Seile, mit denen man die Karren zog, selbst in Kinderwagen schoben sie ihre letzte Habe durch das verschneite Land. Tausende, eine endlose, dunkle Menschenschlange, die sich über die verstopften Straßen quälte, die Angst im Nacken.
    An Ostpreußens Grenze stand der Russe. Noch wartend auf den großen Tag, an dem die Winteroffensive die deutschen Fronten aufrollen sollte. Von allen Seiten drangen die Armeen der Amerikaner, Engländer, Franzosen und Russen nach Deutschland vor. Aus Großdeutschland war ein Großkessel geworden, ein Sack, der von Tag zu Tag enger zusammengeschnürt wurde. Der totale Krieg war von Goebbels proklamiert worden. Alle Männer ab fünfzig Jahren, die nicht in kriegswichtigen Betrieben arbeiteten, wurden zum Volkssturm eingezogen, zu einer armseligen Truppe, die einen Wall aus Leibern gegen den

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