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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ansturm der feindlichen Divisionen bilden sollte, miserabel bewaffnet, angefeuert mit Parolen, aus denen jeder Denkende heraushören konnte: Das Ende kommt, das Reich muß verteidigt werden. Der Krieg fällt in Deutschland ein. Die meisten Städte lagen nach unfaßbaren Luftangriffen und Bombardements in Trümmern, in Kellern und Ruinen hauste man, in zerfallenen Häusern oder Bunkern. Und doch … für die Flüchtenden aus Ostpreußen war dieser zerbombte Westen die letzte Rettung, eine letzte Möglichkeit, sich zu verkriechen und zu überleben.
    Im Führerhauptquartier stand Hitler wie jeden Tag bei der Besprechung zur Lage an der großen Karte auf dem langen Tisch, beugte sich über sie und betrachtete die neu eingezeichneten Linien des Frontverlaufes. Generalfeldmarschall Keitel, Generaloberst Jodl und Generaloberst von Guderian berichteten von den Fronten. Hitler, seit dem Attentat des Grafen von Stauffenberg am 20. Juli 1944 zusammengefallen, körperlich ein Wrack, immer öfter von einem Nervenschütteln befallen, von Tag zu Tag immer weniger ansprechbar, ein Mann am Rande der Selbstauflösung, je näher die Front von allen Seiten nach Deutschland vorrückte, hörte wortlos dem Bericht zur Lage zu, den von Guderian ihm vortrug.
    Es sah trostlos aus. Die Ardennenoffensive des Generalfeldmarschalls von Rundstedt war zum Stehen gekommen, in Ungarn stießen die Russen vorwärts, in Mittelitalien drangen die Briten vor; seit dem 10. Oktober 1944, nach der Eroberung von Riga durch die sowjetischen Armeen, war die gesamte Heeresgruppe Nord eingekesselt; an Ostpreußens Grenze standen im Halbkreis drei russische Fronten bereit zum Angriff; die Bombergeschwader der Engländer und Amerikaner flogen fast völlig unbehindert ins Reich und zerstörten systematisch Städte, Brücken, Eisenbahnlinien und Fabriken. Die Zahl der Bombentoten ging in die Hunderttausende.
    Hitler schwieg. Woran dachte er jetzt? An die Flüchtlinge im Schneesturm, an die Ohnmacht, die Armeen der Alliierten aufhalten zu können, an das jetzt sinnlose Opfer von Hunderttausenden Soldaten? War er nicht selbst geflohen? Sein geliebtes Führer-Hauptquartier ›Wolfsschanze‹ bei Rastenburg in Ostpreußen hatte er verlassen müssen, nachdem es unmittelbar von der Roten Armee bedroht war. Jetzt hatte er sein Hauptquartier in Ziegenberg bei Frankfurt aufgeschlagen, hörte das Heulen der Sirenen, wenn die alliierten Bombergeschwader Deutschland zerhackten und die Städte in Flammen untergingen. Woran dachte er?
    Guderian erfuhr es sehr schnell.
    Nach Abschluß der Besprechung zur Lage holte von Guderian eine Liste aus seiner Aktenmappe und sah Hitler sehr ernst an.
    »Mein Führer«, sagte er mit fester Stimme. »Um die zukünftige Lage zu verstehen, ist es notwendig, die neuesten Zahlen der Kräfteverhältnisse zu vergleichen. Ich habe hier den neuesten Stand …«
    »Mich interessieren Zahlen nicht!« Hitler warf einen kurzen Blick auf von Guderian. »Was soll ich mit Zahlen?«
    »Mein Führer, wir müssen entscheiden, an welcher Front wir unsere Reserven einsetzen sollen. Die Ardennenoffensive hat uns viel Menschen und Material gekostet, die Munition wird knapp, aus Treibstoffmangel liegen viele Panzer still, der Nachschub kann nicht mehr nach vorn wegen der Luftangriffe. Wir sollten genau überlegen –«
    »Wir?!« unterbrach ihn Hitler. Seine Stimme war lauter geworden, schriller, hysterischer. »Wir? Wer ist wir?! Sie, Guderian?!«
    Von Guderian blieb ruhig. »Nach den neuesten Berichten ist es ein Fehler, Truppen aus dem Osten abzuziehen und an die Westfront zu werfen.«
    »Ein Fehler?!« Hitlers Stimme schwoll noch mehr an. »Sie lasten mir einen Fehler an?! Keitel, hören Sie das?!« Und dann war er da, der Tobsuchtsanfall, den alle fürchteten und gegen den es keinen Widerstand mehr gab. »Sie brauchen mich nicht zu belehren, Guderian!« schrie Hitler mit sich überschlagender Stimme. »Ich führe seit fünf Jahren die deutschen Heere im Felde und habe in dieser Zeit soviel praktische Erfahrungen gesammelt, wie die Herren vom Generalstab sie nie sammeln können! Ich bin besser im Bilde als Sie!«
    Der ehemalige Gefreite hatte gebrüllt, die Generäle senkten die Köpfe. Nur von Guderian ließ sich nicht beeindrucken. Er wartete ab, bis Hitler Luft holen mußte, und las dann aus seinem Papier ungerührt vor:
    »Von der Abwehr, Abteilung ›Fremde Heere Ost‹, ist gemeldet worden, daß die Russen für Mitte Januar eine Großoffensive vorbereiten

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