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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Zwangsarbeiter
nach Sibirien!
    Hitler befiehl … wir folgen Dir!
    Die Menschen rannten achtlos an diesen Sprüchen vorbei. Die Furcht um ihr nacktes Leben zerriß ihre Gesichter. Gab es noch ein Entrinnen? Was tat der Russe, wenn er Königsberg erobert hatte? Schlachtete er alles ab, wie die Propaganda behauptete? Selbst Dr. Findling stellte sich diese Frage. Seit dem 3. Januar lebte er allein in einem Keller des ›Blutgerichts‹; er hatte durch seine Beziehungen erreicht, daß seine Frau mit dem Schiff von Königsberg nach Danzig ausreisen konnte, und hatte beim Abschied zu ihr gesagt:
    »Martha, weine nicht, ich komme nach, ich versprech es dir. Fahr von Danzig nach Berlin und warte dort auf mich. Und wenn es in Berlin zu unsicher wird, fahr zu deiner Cousine Luise nach Hannover. Irgendwo sehen wir uns wieder, und irgendwie komme auch ich hier heraus, wenn ich weiß, was mit dem Bernsteinzimmer wird.«
    »Bernsteinzimmer! Bernsteinzimmer! Immer Bernsteinzimmer! Das verfluchte Bernsteinzimmer!« Sie hatte sich an ihn geklammert, weinend, zitternd, mit beiden Händen seinen Kopf umfassend. »Komm mit, Wilhelm. Komm mit, ich flehe dich an. Willst du dein Leben opfern für das verfluchte Zimmer?«
    »Es ist kein Opfer, Martha, es ist ganz einfach Pflichterfüllung.«
    »Daß du stirbst wegen ein paar Bernsteinwänden? Das ist doch Wahnsinn, Wilhelm! Ihr habt das Bernsteinzimmer den Russen gestohlen … laß sie es doch zurückerobern.«
    »Das verstehst du nicht, Martha.« Er hatte sie bis zum Schiff gebracht und winkte ihr nach, als sie die Gangway hinaufging an Bord. Es war ein ehemaliger Ausflugsdampfer. Fröhliche Fahrt entlang der Ostseeküste. Mit drei Tagen Badeaufenthalt auf Usedom. Im herrlichen Seebad Heringsdorf oder Mistroy. Kraft durch Freude … Jetzt war das Schiff grau gestrichen und sah aus wie ein Hilfskreuzer.
    »Wir sehen uns wieder, Liebes …« hatte Findling leise gesagt, als er sie an der Reling stehen sah, weinend, so zart und klein, wie er sie bisher nie gesehen hatte. »Gute Fahrt, mein Liebling … du bist in Sicherheit.«
    Dr. Findling hatte nie erfahren, daß zwei Tage später nördlich von Rügenwalde ein sowjetisches U-Boot mit zwei Torpedos das graue Schiff versenkte. Es wurde niemand gerettet.
    Heute nun, am 10. Januar 1945, jauchzte und lachte, weinte und schluchzte Jana Petrowna am Hals von Väterchen Michail, schwenkte ihn im Kreis herum und rief dabei immer wieder, obgleich ihr bei jedem Wort die Stimme brach:
    »Er lebt! Er lebt! Er lebt! Väterchen, Nikolaj lebt. Nachricht hat er gegeben! Grüßen läßt er uns! Grüßen! In Leningrad ist er noch. In der Eremitage. Er lebt … er lebt … er lebt …« Dann sackte sie zusammen, Wachter trug sie auf das alte Plüschsofa und legte sie hin.
    Nikolaj lebt. Gut geht es ihm. Gott, o Gott, wie kann ich Dir danken?! Mein Söhnchen habe ich wieder. Auf die Knie falle ich vor Dir, Allmächtiger, wie hast Du uns gesegnet …
    Und er kniete wirklich nieder vor der alten Reise-Ikone aus Messing, vor dem dünn flackernden Flämmchen des Hindenburglichts, faltete die Hände und betete und war erlöst und glücklich, daß die Tränen über sein Gesicht liefen und sein Herz vor Freude zu bluten schien.
    Nikolaj, mein Söhnchen, lebt. O Herr, wieviel Gnade schenkst Du uns.
    Tagesbefehl des Marschalls Tschernjakowskij , Befehlshaber der 3. Weißrussischen Front, vom 12. Januar 1945
    Zweitausend Kilometer sind wir marschiert und haben die Vernichtung all dessen gesehen, was wir in zwanzig Jahren aufgebaut haben. Nun stehen wir vor der Höhle, aus der heraus die faschistischen Angreifer uns überfallen haben. Wir bleiben erst stehen, nachdem wir sie gesäubert haben. Gnade gibt es nicht – für niemanden, wie es auch keine Gnade für uns gegeben hat. Es ist unnötig, von Soldaten der Roten Armee zu fordern, daß Gnade geübt wird. Sie lodern vor Haß und vor Rachsucht. Das Land der Faschisten muß zur Wüste werden, wie auch unser Land, das sie verwüstet haben. Die Faschisten müssen sterben, wie auch unsere Soldaten gestorben sind.
    Aufruf
    des sowjetischen Schriftstellers Ilja Ehrenburg als Flugblatt unter russische Soldaten verteilt:
    »Tötet! Tötet! Es gibt nichts, was an den Deutschen unschuldig ist, die Lebenden nicht und die Ungeborenen nicht! Folgt der Weisung des Genossen Stalin und zerstampft für immer das faschistische Tier in seiner Höhle. Brecht mit Gewalt den Rassehochmut der germanischen Frauen! Nehmt sie als rechtmäßige

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