Das Bernsteinzimmer
Posen, Bromberg marschierten. Jetzt, am 25. Januar – die russische Artillerie schoß bereits in die Stadt Königsberg und in den Hafen hinein – war es noch immer ein Wettrennen, aber man war der Umklammerung entkommen. Hauptmann Leyser ließ kurz anhalten und erklärte die Lage. – »Wir haben richtig gehandelt, Leute!« sagte er. »Die Straßen über Bromberg–Schneidemühl und Landsberg sind noch frei. Wenn wir jetzt auf die Tube drücken, fahren wir vor den Sowjets her, immer im Rücken der zurückgehenden 9. Armee. Jungs, wir erreichen Berlin! Es wird zwar Tieffliegerangriffe geben, aber keine Bomben und Granaten. Aufgesessen und ab die Post!«
Tiefflieger – plötzlich ein Pfeifen in der Luft, heranjagende Schatten mit Flügeln, das Hämmern schwerer Maschinengewehre und das Bellen von Bordkanonen … drei-, viermal von allen Seiten … und dann war der Spuk wieder im Himmel verschwunden.
Neunmal erlebte die Lkw-Kolonne einen solchen Angriff, ohne beschossen zu werden. Das weithin auf den Dächern der Wagen leuchtende Rote Kreuz war ein sicherer Schutz. Die sowjetischen Jäger heulten über die zwanzig Transporter hinweg, umkreisten sie ohne einen Schutz, einige wackelten sogar wie zur Begrüßung, und dann jagten sie weiter, die Straße hinunter, um Bahndämme, Fabriken, Züge, Militärkolonnen und marschierende Truppen anzugreifen.
»Wenn die wüßten, was wir transportieren!« lachte Unteroffizier Selch. Neben ihm saß Wachter, der jedesmal den Kopf eingezogen hatte. »Keine Angst, Kumpel. Aufs Rote Kreuz schießen die nicht. So sind sie nun doch nicht, die Russen.«
Am nächsten Tag, dem 26. Januar, erreichten die Russen den Stadtrand von Graudenz und bissen sich an den neuen deutschen Stellungen der 2. Armee fest. Hauptmann Leyser erfuhr es von Offizieren der Infanterie-Reserven, die ihnen auf der Straße entgegenkamen. Einer der Offiziere fragte, indem er auf die Lastwagenkolonne zeigte: »Verwundete?«, und Leyser antwortete: »Lazarettmaterial und Einrichtungen.«
Der Offizier wies mit dem Daumen zur Front: »Die Verwundeten sind aber da, Kamerad. Sie fahren in der falschen Richtung.«
»Und dahin –«, Leyser zeigte mit dem Daumen nach Westen, »– werden sie kommen. Es sollen neue Feldlazarette aufgebaut werden. Wie lange, Kamerad, glauben Sie, hält die Front noch?«
»Bis zum 1. Februar ist das hier alles russisch.« Der Offizier lachte verbissen und gab Leyser die Hand. »Am besten, ihr baut eure Lazarette erst gar nicht hier auf. Schafft sie nach Berlin … da werdet ihr sie bald gebrauchen.«
»Das sieht ja düster aus.«
»Düster?!« Der Offizier grüßte kurz zum Abschied. Nicht mit dem Führergruß, sondern wie früher mit dem Handtippen an den Mützenschirm. »Alles Scheiße! Deine Emma! Gute Fahrt, Kamerad.«
Auf der Straße von Bromberg nach Schneidemühl geschah es dann. Die Kolonne hatte am Rande eines Waldstückes gehalten, und der Stabsgefreite Hasselmann, der den Kübel fuhr, hatte noch Zeit genug, in einem großen Kessel über einem mit Dieselöl getränkten Holzstapel aus zehn Erbswürsten eine dünne Suppe zu kochen, in die man Kommißbrotstückchen bröckelte.
Sie saßen alle am Waldrand in einem weiten Bogen, vierzig Fahrer, Wachter, Jana und Hauptmann Leyser, als das bekannte Gebrumm und Pfeifen plötzlich über den Baumwipfeln aufklang.
»Flieger von links!« schrie Unteroffizier Selch.
Er warf sich sofort flach in den Schnee, die anderen spritzten auseinander, in den Wald hinter Bäume oder Büsche, Hauptmann Leyser riß Jana mit sich in den Schnee und schrie sie an: »Kopf runter! Schnell … robben Sie zum nächsten Baum.« Nur Wachter blieb erstaunt sitzen und starrte den drei sowjetischen Jägern nach, die über den Wald rasten, einen weiten Bogen flogen und dann, noch flacher über der Erde, zurückkamen.
»In Deckung, du Flasche!« schrie ihm Selch zu. »Wir sind nicht im Wagen, wir sind draußen!«
Zu spät. Aus den spitzen Schnauzen der Flugzeuge spuckten die Maschinengewehre und legten eine Naht von Geschossen vor den Waldrand. Ein Schuß einer leichten Bordkanone traf den Suppenkessel und ließ ihn zerplatzen. Weggeworfene Kochgeschirre wirbelten durchlöchert durch die Luft, drei Stahlhelme tanzten im Geschoßhagel über den Boden, und als jetzt, viel zu spät, Wachter mit einem weiten Satz zwischen die Bäume fliehen wollte, bekam er einen gewaltigen Schlag in die linke Schulter. Er taumelte, fiel nach vorn in den Schnee und kroch in den Wald
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