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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Wiesen und Fels, lag dichter Nebel. Die grauen Schwaden trieben an der schroffen, steilen, zerklüfteten Wand des Höllengebirges am jenseitigen Ufer hoch. Die Straßen waren schneeglatt, zum Teil vereist, und selbst die vierradangetriebenen Wagen der SS hatten Mühe gehabt, am See entlang vorwärts zu kommen. Der Kommandant der kleinen Truppe, ein SS-Untersturmführer, eingehüllt in einen langen, pelzbesetzten Mantel, sprang aus seinem Wagen und betrat das Bürgermeisteramt.
    Vom Fenster aus hatte der Gemeindeschreiber mit heruntergezogenen Mundwinkeln die Anfahrt der SS-Fahrzeuge gesehen und trat nun von der Gardine zurück.
    »Jetzt kommt er«, sagte der Schreiber, »in seiner ganzen Pracht.«
    »Halt bloß das Maul!« sagte der Bürgermeister warnend. »Die SS seh i lieber von hinten …«
    Bürgermeister Karl Wiesinger, gleichzeitig Besitzer des Lokals ›Bräuwirt‹ in Nußdorf, war ein aufrechter Mann und Patriot. Jeden Tag verfolgte er anhand der Wehrmachtsberichte auf einer Landkarte die Bewegungen der deutschen und feindlichen Truppen und wunderte sich oft, wie geschickt die Wehrmachtsberichte große Gebietseinbußen verschleierten. Da war von strategischen Rückzügen die Rede, von Frontbegradigungen und Geländeverlegungen. Auf der Karte mitverfolgt, sah das ganz anders aus … da erkannte man, daß die gegnerischen Armeen Deutschland von allen Seiten einschnürten und immer tiefer ins Reich vordrangen. Unaufhaltsam und schnell. Vor allem aber interessierte Wiesinger die Front im Süden, von Ungarn und Bayern. Hier kam der Krieg unmittelbar auf Nußdorf zu, auch wenn nicht zu befürchten war, daß ausgerechnet der Attersee einmal die Hauptkampflinie werden würde. Von München herüber brachte der Wind das Donnern der Bombenangriffe bis nach Nußdorf, ab und zu sah man bei klarem Wetter sogar den roten Widerschein der Brände am Himmel, aber die Angst der Nußdorfer hielt sich in Grenzen. Auf sie marschierte nicht der Russe zu, sondern der Amerikaner, und das waren keine Unmenschen. Nur die Neger bereiteten im voraus Sorgen, vor allem, wenn sie betrunken waren, sollten sie wirklich wie die Wilden sein. So erzählte man … Genaueres wußte man nicht. Wer in Nußdorf war schon mal einem Neger begegnet, höchstens im Zirkus, wenn der seine Zelte in St. Georgen, Vöcklabruck, Wels oder Salzburg aufschlug.
    Die Tür sprang auf, ohne Anklopfen, und der SS-Untersturmführer trat in das Gemeindezimmer. Bürgermeister Wiesinger stand an einen Aktenschrank gelehnt und wartete ab, was da kommen würde.
    »Heil Hitler!« sagte der SS-Führer und ließ den Arm hochschnellen. Wiesinger hob auch den Arm, aber er schwieg.
    »Wer ist hier der Bürgermeister?« – »Ich.«
    »Aha!« Der SS-Führer musterte kurz den Mann vor sich und kam dann sofort zur Sache. »Das ist ein Sonderkommando des Reichsführers SS in Verbindung mit dem AA.«
    Aha, dachte Wiesinger ruhig. Auswärtiges Amt, heißt das. Kann aber auch heißen: Alles Arschlöcher! Suchen wir's uns aus.
    »Grüß Gott in Nußdorf –« sagte er freundlich. »Haben Sie einen Wunsch?« Der SS-Untersturmführer holte aus seiner am Koppel hängenden ledernen Kartentasche einen genauen Plan vom Attersee und Umgebung hervor und breitete ihn auf dem Schreibtisch vor Wiesinger aus. Einige Stellen waren mit Rotstift eingekreist. Ein paar dieser Kreise waren dick durchgestrichen. Ob auch Nußdorf umrandet war, konnte Wiesinger von seinem Platz aus nicht sehen. Hat es einen Kreis, dachte er nur, wird auch er durchgestrichen, was auch der Kreis bedeuten mag.
    »Haben Sie Höhlen?« fragte der SS-Führer und sah Wiesinger scharf an.
    »Höhlen?« Wiesinger wischte sich schnell über das Gesicht und trat einen Schritt näher. »Was für Höhlen?«
    »Tiefe, geräumige, bombensichere, trockene, naturbelüftete Höhlen …«
    »Naturbelüftete … Na! Haben wir nicht. Wo sollen in Nußdorf naturbelüftete Höhlen sein?«
    »In der Umgebung! In Ihren Bergen! 300 Quadratmeter genügen.«
    »Wir haben auch keine 300 Quadratmeter naturbelüftete –«
    Der SS-Führer winkte energisch ab. Der Gemeindeschreiber zog den Kopf zwischen die Schultern und blinzelte zu Wiesinger hinüber. Karl, sei vorsichtig. Wenn der merkt, daß du ihn verarschst …
    »Hier gibt es doch überall Höhlen!« Der SS-Untersturmführer beugte sich wieder über seine Karte. »Überall! Salzbergwerke, Tropfsteinhöhlen …«
    »Die sind nicht trocken«, sagte Wiesinger freundlich. »Zwar naturbelüftet, aber

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