Das Bernsteinzimmer
Noah laut. »Joe, ich will nicht tot sein, wenn auch nur so.«
»Okay, darüber reden wir noch.« Williams stieß Brooks verstohlen an. Der verstand den Rippenstoß nicht und hob nur die Augenbrauen. »Du bist noch vor uns bei deiner Mami …«
»Meine Mom ist tot.«
»Na ja. War nur so 'ne Redensart.«
»Und was wird aus den Trucks?«
»Da fällt mir noch was ein.« Joe grinste breit. »Mir fällt zur Zeit überhaupt viel ein. Los, fahren wir weiter.«
Noah hielt seine breite Hand hin und sah Williams fordernd an. »Ein Drittel, Joe. Garantiert.«
»Du erhältst, was dir zusteht, Blacky.« Williams schlug in die Pranke ein. »Verlaß dich drauf.«
Sie fuhren die ganze Nacht durch, sehr vorsichtig und nur auf kleinen Nebenstraßen, die eine feste Decke hatten und deshalb keine Spuren aufnahmen. Es regnete sogar eine Stunde, als helfe ihnen auch noch die Natur, spurlos zu verschwinden. Beim Morgengrauen kamen sie in das Gebiet des Naturschutzgebietes Vogelsberg, bogen in einen befestigten Waldweg ab und hielten am Fuß des 772 Meter hohen Berges Taufstein an. Dichter Wald umgab sie.
Den ganzen nächsten Tag kletterten sie auf dem Taufstein herum und suchten. »Wo ein Berg ist, gibt's auch Höhlen!« hatte Joe gesagt. »Wir werden doch wohl noch zwanzig Kisten unterbringen können …«
Den ganzen Tag lang kreisten über ihnen Hubschrauber und ein Aufklärungsflugzeug, sonst störte sie niemand. »Sie suchen uns«, sagte Larry einmal. Sie lagen im Wald unter den Bäumen, flach auf den Boden gedrückt, bis der Hubschrauber weiterknatterte.
»Sie werden uns noch monate-, noch jahrelang suchen, Larry.« Williams setzte sich und holte eine Zigarette aus der Tasche. Er trug seinen Stahlhelm, wohl berechnend, daß sich jeder ›Kraut‹, wenn er in die Nähe kam, beim Anblick des amerikanischen Stahlhelms schnell aus dem Staub machte. Noch war ja Krieg, noch waren die US-Truppen Feinde, noch durften sie auf alles schießen, was verdächtig war. Die Ruhe im eroberten Land war so lange trügerisch, wie es noch keine Kapitulation der deutschen Wehrmacht gab. Die Heeresgruppe B unter Generalfeldmarschall Model hatte sich zwischen Rhein, Ruhr und Lippe eingeigelt und den ›Ruhrkessel‹ geschaffen. Am 14. April überrannten die 9. US-Armee und die 1. US-Armee die deutschen Truppen und Model erschoß sich selbst. Zur gleichen Zeit stießen die Russen nach Berlin vor, im Norden Deutschlands sammelten sich die letzten deutschen Divisionen, abgeschnitten von allem, von Munition, Nachschub und Verpflegung. Aber der große, ersehnte Befehl: Das Ganze halt. Helm ab. Gott, wir danken dir … war noch nicht gekommen. Joe Williams hatte schon recht. Ein amerikanischer Stahlhelm verscheuchte jetzt noch die ›Krauts‹.
Es war ausgerechnet Noah, der eine Höhle fand. Dichtes Gebüsch verdeckte den Eingang, der gerade hoch genug war, daß man die Kisten durchschieben konnte. Ein schmaler Gang kam zuerst, dann die Höhle selbst, uneben, zerklüftet, feucht, glitschig, aber groß genug, um die zwanzig Kisten aufzunehmen.
»Bernstein rostet nicht«, sagte Joe, nachdem er die Höhle besichtigt hatte. »Und die Kisten haben eine Schutzschicht gegen Feuchtigkeit. Jungs, hier können sie eine Zeitlang stehen, bis die Welt anders aussieht. Los, spuckt in die Hände.«
Nur mühsam kamen sie mit den Trucks bis in die Nähe der Höhle heran, und dann begann eine Knochenarbeit mit Schleppen, Heben und Drücken, Meter um Meter, bis sie alle zwanzig Kisten in die Höhle gezwängt hatten. Sogar drei junge Bäume hatten sie gefällt, um die Stämme als Rollen zu benutzen, und es zeigte sich, daß Noahs Bullenkräfte unbezahlbar waren. Er spannte sich wie ein Stier in die Seile und zog die Kisten den schrägen Weg zur Höhle hinauf. Larry und Joe drückten von hinten, keuchend, ächzend und mit Flimmern vor den Augen. Am Nachmittag hatten sie es geschafft.
»Und nun?« fragte Noah. Mit bloßem Oberkörper, schweißbedeckt, saß er auf dem Trittbrett seines Trucks und löffelte aus einer Dose kaltes Huhn. »Die Kisten hätten wir weg. Was wird aus uns?«
»Darüber denke ich nach.« Joe Williams nahm einen Schluck Whiskey aus der Flasche. »Zuerst sprengen wir den Eingang zur Höhle zu.«
»Womit?« fragte Larry.
»Larry-Boy, Joe denkt an alles. Ich habe eine Stange Sprengstoff mitgenommen. Die reicht. Brauchen ja nur den Eingang zu verschütten. Und dann? Alles schön der Reihe nach.«
Joe kannte sich aus, es gab keine laute, weithin
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