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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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selbst Jana Petrowna überlegte ernsthaft, ob sie nicht ihr Väterchen begleiten sollte. Die Kinder waren schon selbständig genug, um unter Aufsicht eines im Ruhestand lebenden Lehrers aus Puschkin eine Zeitlang allein gelassen zu werden. Peter war neun, Janina sieben Jahre alt, es waren kluge und vernünftige Kinder, die schon jetzt in ihrer Jugend von der Schönheit ihrer Mutter zeugten. Die Jablonskaja hatte es einmal ausgesprochen, was Großvater Michael im stillen schon gedacht hatte, voller Stolz, wie Großväter nun mal sind: »Peter und Janina hätten früher Modelle für Raffael und Tiepolo abgegeben.«
    Nun also wollten Nikolaj und Jana den alten Wachter begleiten und überfielen ihn drei Tage vor der geplanten Abreise aus Puschkin mit der Eröffnung: »Väterchen, alles ist geregelt. Nikolaj ist beurlaubt, die Kinderchen bleiben unter Aufsicht von Arkadij Trofimowitsch, dem alten Lehrer, im Schloß – alles ist gut.«
    »Nichts ist gut!« hatte Wachter ärgerlich gerufen. »Was, frage ich, soll da gut sein? Daß ein Wachter seinen Posten als Betreuer des Bernsteinzimmers verläßt? Daß eine Mutter ihre Kinder in Pflege gibt?! Das ist gut?!«
    »Soll ich einen leeren Saal bewachen, Vater?« rief Nikolaj zurück. »Wäre das Zimmer da – ich rührte mich nicht von der Stelle. Das weißt du! Unmöglich aber ist's, dich allein auf die Suche zu schicken.«
    »Wassilissa Iwanowna ist bei mir.«
    »Genügt das vielleicht? Wenn du krank wirst, wenn du ausrutschst und dir ein Bein brichst, wenn irgend etwas anderes passiert … Janka ist eine gute Krankenschwester geworden. Und vergiß nicht, Väterchen … ein alter Mann bist du.«
    »Was bin ich?!« Auf sein Alter hingewiesen zu werden war Wachter ein Greuel. Er war kein Greis, er fühlte sich nicht so, er war nicht im geringsten klapprig in den Knochen und den Muskeln. Sein Herz schlug kräftig wie vor vierzig Jahren, seine Adern waren nicht verstopft und das Denken war ihm nicht schwerer geworden. Nur die linke Schulter war etwas schief seit dem Feuerüberfall der Tiefflieger, und daß es gerade sowjetische Flieger gewesen waren, die ihn, einen Wachter, die seit 230 Jahren in Rußland lebten, zusammengeschossen hatten und indirekt und unwissend schuld daran waren, daß er das Bernsteinzimmer aus den Augen verloren hatte, ärgerte ihn immer wieder. Aber ein alter Mann, auf den man aufpassen mußte wie auf einen Säugling, nein, das war er keinesfalls.
    »Ihr seht mich als einen Tattergreis?!« rief er empört. »Ha, zeigen werde ich's euch! Wer bin ich denn? Soll eine eigene Krankenschwester brauchen? Einen starken Sohn, der mich auf den Schultern herumträgt?«
    »Väterchen, so ist das nicht.« Jana Petrowna versuchte, Wachter milde zu stimmen. »Acht Augen sehen mehr als vier Augen, und sechs Ohren hören besser als vier …«
    »Jeder auf seinem Platz!« sagte Wachter streng. »Ich fahre und suche mit Wassilissa Iwanowna allein …«
    Als sie von Puschkin abfuhren nach Leningrad, um dort ein Flugzeug nach Ost-Berlin zu besteigen, war zwar Jana im Katharinen-Palast bei den Kindern geblieben, aber Nikolaj war mitgekommen und hatte dem Alten allen Wind aus den Segeln genommen, indem er sagte: »Ein Wachter gehört zum Bernsteinzimmer. Bin ich ein Wachter? Ohne Zweifel. Wo ist das Bernsteinzimmer? Verschollen. Wer hat die Pflicht, es zu suchen? Ein Wachter. Ich wiederhole: Bin ich ein Wachter? Was kannst du dagegen sagen, Väterchen?«
    »Du bist ein Dickkopf wie ich.« Michael Wachter stieß mit der Faust gegen die Brust seines Sohnes, und die Kraft des Alten war noch so stark, daß Nikolaj etwas schwankte. »Gut ist's. Keine Diskussion mehr! Froh bin ich, daß Janinka zu Hause bleibt. Wir alle wissen, wie schwer es wird, was wir vorhaben. Sogar gefährlich kann's werden. Es gibt Menschen, die wissen, wo das Bernsteinzimmer geblieben ist, und sie werden unsere Feinde sein und vor nichts zurückschrecken.«
    »Und deshalb ist es gut, daß ich bei dir bin«, sagte Nikolaj.
    In Berlin blieben sie nur drei Tage, wohnten als Gäste des sowjetischen Stadtkommandanten im Gästehaus der Roten Armee in Karlshorst und studierten die Detailpläne, die man in Moskau erstellt hatte und mit denen die Jablonskaja jahrelang beschäftigt gewesen war. Drei wichtige Spuren gab es, auf denen man dem Bernsteinzimmer folgen wollte: nach Grasleben, nach Merkers und nach Österreich im Raum Alt-Aussee, Dachstein, Höllengebirge … aber in elf Jahren war viel Gras über das Land

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