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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ging sie zu Fuß weiter, betrat durch den Nebeneingang des Schlosses den Flügel, in dem früher die Angestellten wohnten und auch Michael Wachter seine Zimmer hatte. Offiziere, die ihr begegneten, grinsten sie an, einige musterten sie mit unverschämten Blicken, ein Hauptmann hielt sie auf und faßte sie am Arm.
    »Wohin, meine Süße?« fragte er. »Sicherlich suchen Sie mich.«
    »Bestimmt nicht. Ich suche den General.«
    Sie sagte einfach General, das genügte. Ein General war sicherlich im Palast, sein Name war unwichtig. Niemand würde es wagen, sie dann noch festzuhalten. Auch der forsche Hauptmann ließ sofort Janas Arm los und hob die Schultern.
    »Zum General … dagegen komme ich natürlich nicht an«, sagte er anzüglich. »Zimmer 17, aber nicht hier. Dort, im Hauptgebäude. Wünsche ein gutes Hüpferchen.«
    Vor der Tür zu Wachters Wohnung, an der jetzt das Pappschild Verwaltung genagelt war, blieb sie stehen und klopfte. Väterchen Michail antwortete nicht, noch dreimal klopfte sie, dann drückte sie die Klinke. Die Tür war nicht verschlossen, mit einem leisen Quietschen schwang sie auf. Nach links und rechts sah sich Jana Petrowna um, allein war sie auf dem Flur, und sie schlüpfte schnell in die Wohnung.
    Das erste, was sie wahrnahm, war der strenge Geruch von Karbol. Sie blieb in der kleinen Diele stehen, preßte die flache Hand gegen ihre Brust, ein unbeschreibliches Gefühl der Angst durchflutete und lähmte sie, und dann schrie sie mit hellerer Stimme als sonst:
    »Väterchen, wo bist du? Väterchen … bist du hier? Väterchen …«
    Sie merkte nicht, daß sie es auf russisch schrie, und es war wiederum ihr Glück, daß niemand in der Wohnung war und sie hörte.
    Verwirrt, mit einem dumpfen Schmerz unter der Hirnschale, stellte Michael Wachter fest, daß er noch lebte. Er roch den beizenden Karbolgestank, spürte den Druck in seinem Kopf, hörte vor seinem Fenster Stimmen und Motorenlärm und behielt die Augen geschlossen, voll Verwunderung, daß er in einem Bett lag, und es mußte das Bett in seinem Schlafzimmer sein, denn alle Geräusche kamen von links. Links, wo das Fenster hinaus auf einen breiten Gartenweg ging.
    Träge – ihm kam es vor, als könne er sich nicht bewegen – kehrte die Erinnerung zurück: das Bernsteinzimmer, der Soldat, der mit seinem Seitengewehr die Verkleidung abhebelte und es dann in das Mosaik stieß, wie ein Mörder, dessen Messer in eine Brust dringt. Auf ihn hatte er sich gestürzt, hatte ihm das Messer aus der Hand geschlagen … ja, so war's gewesen. Das Gesicht des Soldaten sah er noch, fassungslos, von einem hilflosen Grinsen verzogen, dann hatte ein Dröhnen in seinem Kopf begonnen, das alles in ihm auslöschte.
    Das Bernsteinzimmer!
    Er riß die Augen auf und zuckte zusammen, als ein heller Aufschrei in seine Ohren drang. »Väterchen!« rief eine Frauenstimme. »Väterchen! Du bist wieder da … du lebst … du wirst nicht sterben!« Und dann weinte jemand, und alle weiteren Worte gingen im Schluchzen unter. Ein Kopf erschien vor seinen Augen, ein tränenüberströmtes Gesicht, von schwarzen Haaren umrahmt, und dieser Kopf trug ein Häubchen, wie es Krankenschwestern tragen, beugte sich nun über ihn und küßte seine Stirn, die Augen und die Lippen. »Väterchen, lieg ganz still, bewege dich nicht, hast du Schmerzen, willst du etwas trinken …«
    »Sprich deutsch«, sagte er mit noch schwerer Zunge. »Janaschka, du bist eine deutsche Krankenschwester. Vergiß das nie! Nie! In Ostpreußen bist du geboren … in Ostpreußen … bei den Masurischen Seen.«
    »Ja, Väterchen«, antwortete sie und weinte weiter.
    »Jana!«
    »Ich weiß.« Jetzt sprach sie deutsch mit einem harten Akzent. »Sie müssen ganz ruhig liegen bleiben, Herr Wachter.«
    »Ich muß zum Bernsteinzimmer, Schwester.« Er versuchte, sich aufzurichten, aber ihm war, als glühte sein Kopf, als loderten Flammen aus ihm. Er fiel auf das Kissen zurück und schloß wieder die Augen. »Mein Bernsteinzimmer …«
    Sie zog die Decke wieder hoch bis unter sein Kinn und hielt ihn fest, damit er still lag.
    »Sie leben … das ist jetzt das Wichtigste.«
    Obwohl sie allein in der Wohnung waren, niemand sie sah und hörte, spielten sie weiter, was sie verabredet hatten: Sie war eine unbekannte deutsche Krankenschwester und er ein ihr fremder Angestellter der Schloßverwaltung von Zarskoje Selo. Sie hatten sich vorher nie gesehen … nur ein einziges Du, ein einziges russisches Wort konnte ihr

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