Das Bernsteinzimmer
worden?«
»Auch im ›Haus der Deutschen Kunst‹ in München gibt es einen Saal mit entarteter Malerei und Plastik. Auf Wunsch des Führers. Zur Abschreckung und zur Bildung einer gesunden völkischen Kunst. Man kann gute Kunst nur erkennen im Vergleich mit solchen Auswüchsen.«
»Dr. Findling, das ist wahr.« Koch nickte mehrmals. »Der Führer sieht das richtig. Er war ja selbst ein Künstler. Hat auch gemalt. Also, was machen Sie mit den jüdischen Schmierern?«
»Sie kommen in den Keller, Herr Gauleiter.« Dr. Findling atmete auf. Das ging knapp an einer Katastrophe vorbei, dachte er. Koch hätte alles verbrennen lassen können. Ein Glück, daß mir die Sache mit Hitler einfiel. Man sollte sich in kritischen Situationen immer auf ihn beziehen. Eine bessere Rückendeckung gibt es gar nicht.
Koch blieb abrupt vor Dr. Findling stehen und zog das Kinn an. Dadurch bekam er ein Doppelkinn, was dem Gesicht eine trügerische Gutmütigkeit verlieh.
»Sie werden einen Zeitungsartikel schreiben, Doktor«, sagte er. »›Die Rückkehr des Bernsteinzimmers in seine Heimat‹.«
»Wie Sie wünschen, Herr Gauleiter.« Dr. Findling war bereit, schier alles zu tun, wenn diese Kostbarkeit in das Schloßmuseum kam. Es war der Höhepunkt seines Lebens, ein erfüllter Traum, ein wahrgewordenes Märchen. Er stellte sich den Augenblick vor, in dem er mit seinen Händen über die leuchtenden Bernsteinmosaiken, Figuren und Girlanden streicheln würde. Welch ein ungeheures Gefühl! Es machte ihn wieder atemlos. »Man soll es nur vorsichtig ausbauen, ganz vorsichtig … mit Gefühl, wenn man so sagen darf.«
»Dafür wird Dr. Runnefeldt schon sorgen.« Gauleiter Koch ließ sich in einen Sessel fallen und streckte die Beine von sich. Diesmal war er in Uniform, trug weitausladende Breeches-Hosen, seine Reitstiefel glänzten wie Lackleder. »Reichsleiter Bormann konnte keinen Besseren empfehlen.«
»Soll das Bernsteinzimmer denn ausgestellt werden?« Dr. Findling hielt Wellenschlag sein Glas hin. Jetzt war der Alkohol wie Medizin für ihn. Ein inneres Feuer nahm von ihm Besitz. »Soll es der Öffentlichkeit zugänglich sein?«
»Warum nicht?« Koch zog die Augenbrauen hoch. »Dafür holen wir es doch! Erst Königsberg, später Linz … wenn es mir nicht gelingt, den Führer umzustimmen und es in Königsberg zu lassen. Als Symbol des ›deutschen Goldes‹.«
Die alte Weisheit, daß Diebe mit ihrer Beute niemals prahlen, galt nicht mehr. Die Eroberer waren stolz auf ihre Raubzüge, jeder sollte ihre Beute sehen und bewundern. Das Volk der Sieger durfte begeistert sein.
Räuber-Ehre.
Wer zweifelte jetzt noch am Endsieg?
Nur Wehrkraftzersetzer … und die richtete man hin.
Am 1. Oktober traf die kleine Kolonne des Außenministeriums des ›Einsatzkommandos Hamburg‹ in Puschkin ein. Den Weg zum Katharinen-Palast kannte man ja, hielt vor der Freitreppe und stieg etwas lahm von der langen Fahrt und unter Recken und Kniebeugen aus den Wagen. Koffer wurden ausgeladen und in einer exakten Reihe neben die Treppe gestellt.
»Da sind sie …« sagte Michael Wachter. Mit Jana Petrowna stand er am Fenster eines kleinen Zimmers, das mit weißem und blauem Email verziert war und das man die ›Tabaksdose‹ nannte. Das einzige Möbelstück, das in dem Zimmer stand, war ein großer, überbreiter orientalischer Diwan. Auf ihm, wie auch nebenan im Schlafgemach, hatte Zarin Katharina II. ihre Liebhaber empfangen und mit ihrer unersättlichen Wollust ausgesaugt. Hinterher wurde geraucht … und deshalb hieß das kleine Zimmer ›Die Tabaksdose‹.
»Tatsächlich. Dr. Wollters ist gekommen«, sagte Jana. »Verstecken muß ich mich jetzt. Nicht sehen darf er mich. Sein Blick ist so merkwürdig.«
»Warten wir es ab, Jana.« Wachter beobachtete das Ausladen der Wagen. Ein Ordonnanzoffizier von General von Haldenberge war aus dem Schloß gekommen und sprach mit einem Mann, der eine SS-Uniform trug mit silberglänzenden Schulterstücken, die schmaler waren als die üblichen Offizierslitzen.
»Das muß Dr. Runnefeldt sein«, sagte Wachter und verkrampfte die Finger ineinander. »Was … was hat die SS damit zu tun? Ich denke, sie kommen vom Außenministerium? Jana, das sieht böse aus –«
»Was hast du vor, Väterchen?« Ihre dunklen Augen suchten in seinem Gesicht nach einer Regung, aber es war wie eine starre, unbewegliche Maske. »Du kannst nichts mehr tun …«
»Ich werde Ihnen helfen«, sagte Wachter dumpf.
»Helfen,
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